Königin für neun Tage
war kein Mensch, einzig das Stampfen und Schnauben der Rösser empfing sie. Tief sog sie den Geruch nach Pferden in ihre Nase, griff nach dem erstbesten Sattel an der Wand und legte ihn einer Fuchsstute auf. Antonia überlegte nicht, ob sie recht handelte, sie musste einfach ihrem Gefühl folgen. Sie raffte ihre Röcke hoch und schwang sich im Männersitz in den Sattel. Rasch drückte sie dem Pferd ihre Absätze in die Seite und zog an den Zügeln. Es reagierte sofort, und Antonia ritt aus dem Hof, hinein in die dunkle, sternklare Nacht. Auf dem freien Feld ließ sie die Stute galoppieren, und ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchflutete sie auf dem warmen Pferderücken. Obwohl sie das Tier nie zuvor geritten hatte, schien es zu spüren, dass es eine erfahrene Reiterin trug, die sich mühelos seinem Rhythmus anpasste. Tief sog Antonia die frische, kalte Nachtluft in ihre Lungen und wünschte sich, bis ans Ende der Welt reiten zu können, fort von allen Zwängen, die man ihr als Frau auferlegte, und fort von Norman Powderham.
Nach zwei Stunden kehrte Antonia in den Stall zurück, rieb die Stute trocken und versorgte das brave Tier mit einem extra Eimer Hafer. Kurz schmiegte Antonia ihr Gesicht in die dichte Mähne und murmelte: »Danke, meine Kleine. Genau das habe ich jetzt gebraucht.«
Antonia glättete so gut es ging ihre Röcke und hoffte, ungesehen in ihr Zimmer zu gelangen. Wie sollte sie jemandem ihr aufgelöstes Haar und die roten Wangen erklären? Gerade wollte sie den Stall verlassen, als sie Schritte und flüsternde Stimmen hörte, die direkt auf die Tür zukamen. Schnell wich Antonia in den Stall zurück und versteckte sich in der hintersten leeren Pferdebox. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, zwei Schatten huschten herein. Sie trugen keine Lampe bei sich, darum konnte Antonia nicht erkennen, um wen es sich handelte. Dann aber kicherte die eine Person, und Antonia blieb vor Schreck das Herz beinahe stehen: Maryrose! Sie schien sich wieder einen willigen jungen Mann geangelt zu haben und hatte sich mit ihm in den Stall verdrückt. Antonia überlegte gerade, ob sie hervortreten und Maryrose ausschelten sollte, als der andere Schatten sagte: »Du bist ein kleines Biest! Ich weiß wirklich nicht, was ich von dir halten soll.«
Norman Powderham! Antonias Knie gaben nach, und sie ließ sich ins Stroh sinken. Also hatte es Maryrose doch noch geschafft, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen! Es war ja auch kein Wunder, entsprach das Mädchen doch genau der Art Frauen, die Norman bevorzugte. Raschelnde Geräusche verrieten ihr, dass die beiden sich gegenseitig aus ihren Kleidern halfen. Nein, das konnte sie nicht ertragen! Sie konnte nicht einfach hier sitzen bleiben und miterleben, wie Norman in ihrer unmittelbarer Nähe eine andere liebte. Mit zitternden Knien stand sie auf und wollte gerade aus der Box treten, als die Tür erneut geöffnet wurde. Dieses Mal hatten die Ankömmlinge eine Fackel dabei, dessen Lichtschein sofort auf die beiden Menschen fiel, die halb entkleidet an der Wand lehnten.
»Maryrose Borough! Ich bin entsetzt über dein Verhalten!« Vor Wut bebend stand Lady Catherine in der Tür, hinter ihr starrte Lord Seymour verwundert auf die Szene.
»Mylady …«, stammelte Maryrose, eifrig bemüht, ihr bereits geöffnetes Mieder mit beiden Händen zusammenzuhalten.
»Zieh dich an und geh sofort in dein Zimmer. Wir sprechen uns morgen!« Scharf kamen Lady Catherine die Worte über die Lippen. Mehr aus Zufall hatte sie beobachtet, wie ihre Großnichte um den jungen Ritter herumscharwenzelte. Zuerst hatte sie die offensichtlichen Flirtversuche belächelt, dann aber festgestellt, dass sich Norman Powderham für die weiblichen Reize empfänglich zeigte. Als erst Maryrose, dann Sir Norman kurz hintereinander die Halle verließen, hatte sie ihren Mann gebeten, sie zu begleiten. Nun fand sie ihren Verdacht bestätigt.
Lord Seymour trat einen Schritt vor und hielt die Fackel so, dass das Licht auf Normans Gesicht fiel. »Sir Powderham, Ihr habt unsere Gastfreundschaft aufs Schändlichste missbraucht«, sagte er kalt. »Das Mädchen, fast noch ein Kind, wurde der Obhut meiner Frau anvertraut. Ich wünsche, dass Ihr noch heute Euer Pferd sattelt und unser Haus verlasst.«
Norman senkte demütig den Kopf. Er empfand tiefe Scham, denn er hätte merken müssen, wie jung das Mädchen, das sich ihm so schamlos angeboten hatte, noch war.
»Admiral, ich weiß, es gibt keine Entschuldigung für mein
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