Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
gesessen, und das wiederum hat ihnen sein Brandzeichen aufgedrückt.
Marilyn Chambers mit 17 (HST Archiv)
Es ist durchaus kein unsympathisches Zeichen, nicht zu vergleichen mit einer Narbe im Gesicht oder einer primitiven Tätowierung auf dem Arschbackenansatz, die EIGENTUM DER HELL’S ANGELS verkündet. Dergleichen würde auch nicht in einen Lap-Dancing-Laden mit Klasse in Nashville oder Toledo passen. Die Gäste würden Anstoß nehmen. Diejenigen unter ihnen, die besonders spendabel mit Trinkgeld um sich werfen, werden schnell argwöhnisch, wenn sie es mit einer Frau zu tun bekommen, die bei einem Höllenengel hintendrauf mitgefahren ist. Kennzeichnend für das Pornogeschäft ist letztlich eher eine Attitüde als ein Brandzeichen oder eine fiese Tätowierung.
Das O’Farrell wurde früher als die »Carnegie Hall des Öffentlichen Sex in Amerika« gefeiert. Während der geldgeilen Jahre der Reagan-Revolution ließ es sich dort angenehm arbeiten. Ungefähr hundert Mädels standen bei uns in Lohn und Brot, und noch viel mehr tummelten sich auf der Warteliste. Nackte Frauen waren in jenen Tagen hoch im Kurs. Den Chronisten zufolge, die sich auf dergleichen verstanden, war es das »Goldene Zeitalter der Pornografie«, als Sexfilme noch unter gleißendem Schweinwerferlicht und auf Celluloid gedreht wurden.
Deep Throat und Behind the Green Door lockten noch riesige multisexuelle Zuschauermassen in achtbare Filmtheater überall im Land. ORALSEX war gesellschaftlich etabliert, und üppige Spesenquittungen aus den Etablissements der Vergnügungsindustrie ließen sich von der Steuer absetzen. Exorbitante Spesenbeträge waren das Schmieröl, mit dem die nationale Wirtschaft in Schwung gehalten wurde, und Sex war allgegenwärtig, vierundzwanzig Stunden am Tag. Kokain war die aktuelle Freizeit-Droge, aber LSD-25 blieb in gehobenen Kommunen und Maklerfirmen an beiden Küsten weiterhin in Mode.
Jene zwanzig sexbesessenen Jahre zwischen der Einführung der Antibabypille und dem Ausbruch von AIDS waren eine wilde und orgiastische Zeit in Amerika, und die hab ich geliebt.
Na ja, das ist jetzt schon viele Jahre her, oder zumindest kommt
es mir so vor. Eine gute Zeit, wenn man jung und unbekümmert war – als man mit seiner Kleinen noch ins Kino gehen konnte, ohne sich fürchten zu müssen, von irgendwelchen Unbekannten angehauen zu werden, die Blowjobs wollten. Das kam erst mit den Demokraten auf, die sehr schnell entdeckten, dass man sich in Washington wegen widernatürlicher Unzucht schnappen lassen musste, um sicherzustellen, in Bundesstaaten wie Arkansas und Kalifornien wiedergewählt zu werden. Wenn Bill Clintons Amtszeit nicht durch das Bundesgesetz begrenzt gewesen wäre, würde er immer noch im Weißen Haus residieren, und wir alle könnten uns eines angstfreien Lebens erfreuen.
Oder vielleicht auch nicht. Eine andere Denkschule behauptet nämlich, dass Clinton einem Attentat zum Opfer gefallen wäre, wenn er eine dritte Amtszeit hätte antreten können. »Die Texas-Mafia hätte das nie zugelassen«, versicherte mir mein Freund Curtis. »Man hätte ihn kurzerhand ausgerupft wie einen verfaulten Zahn …« Vielleicht muss man aus Texas kommen, um solche Sprüche gut zu finden, aber das bezweifle ich. Texas ist nicht der einzige Bundesstaat voller reicher Freaks mit finsteren Absichten. Mit manchen von ihnen bin ich befreundet, das will ich nicht bestreiten, aber ich habe auch nie bezweifelt, dass sie zu grässlichen Taten fähig sind, auch wenn man in ihrer Gesellschaft ganz nett einen heben kann. Grausamkeit und Perversität gehörten im Öl- wie im Orgien-Business gleichermaßen zum Spiel.
So ist das. Aber diese Geschichten können wir uns für später aufbewahren – lasst uns lieber auf die Frau zurückkommen, die ich zu beschreiben versucht habe. Ihr Name ist Gail, aber aus irgendwelchen juristischen Gründen werden wir sie Jane nennen müssen. Würde ich sie Gail nennen, bekämen wir jede Menge böses Gekeife von Anwälten zu hören.
Wir werden sie die Zeugin nennen, und das passt auch besser zu ihrer Rolle in diesem Drama. Manche Leute haben sie das Opfer genannt, aber nicht lange. Es handelte sich dabei um eine zweckdienliche juristische Fiktion, die im Interesse des lokalen
Bezirksstaatsanwalts und seiner (inzwischen abgetretenen) Bande von rachsüchtigen Schlägern war. Sie sind mittlerweile aus diesem Tal verschwunden, zumeist gefeuert oder irgendwohin in die Einöde versetzt. Der Hauptermittler in
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