Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
an sich, etwas Gemeines und Unehrliches, das mich auf der Stelle skeptisch gemacht hätte, wäre ich an jenem Abend nicht viel zu desinteressiert gewesen, um mir darüber Gedanken zu machen.
Aber das tat ich eben nicht. Sie war mir gleichgültig, zumindest damals. Alle möglichen Leute tauchen bei uns zu Hause auf, von ganz gewöhnlichen Strolchen und Abartigen bis zu dummen, von Hass zerfressenen Dieben und US-Senatoren mit atemberaubenden Huren am Arm. Manche kommen mit Privatjets, andere wiederum fahren in gestohlenen Autos voll illegaler Drogen und Waffen vor. Das ist zwar manchmal eine üble Mischung, aber ich habe gelernt damit zu leben, allein schon deswegen, weil ich Profijournalist bin und Bücher über die seltsame Seite des Lebens schreibe – was »interessant« im chinesischen Sinn sein mag, aber nicht notwendigerweise auch erquicklich ist.
Es ist kein kriminelles Leben und auch kein Wirbelsturmzoo endlosen Wahnsinns. Aus der Ferne mag es vielleicht so aussehen, aber ich halte das alles für höchst normal, und die meisten meiner Freunde stimmen zu. Geistig gesund ist eine gefährliche
Bezeichnung. Sie impliziert einen klaren Unterschied, eine scharfe Trennungslinie zwischen geistig gesund und geisteskrank, die wir alle deutlich erkennen und als naturgegeben anerkennen sollen.
Aber so ist es nicht. Nein. Der einzige wirkliche Unterschied zwischen den Geisteskranken und den Gesunden auf dieser Welt besteht darin, dass die Gesunden die Macht besitzen, die Kranken hinter Gitter zu bringen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. KLÄNG! Begib dich sofort ins Gefängnis. Du verrückter Hund, dich hätte man schon lange einsperren sollen. Du bist ein gefährlicher Freak – ich bin reich und will, dass man dich kastriert.
Huch, hab ich das gesagt? Ja, hab ich, aber wir wollen das jetzt nicht weiter auswalzen, dass wir vom Thema abkommen und uns in eine Tirade darüber versteigen, wie furchtbar es ist, eingesperrt zu sein und wie ein Kater in einem kleinen Drahtkäfig zu stecken. Es gibt in diesem Lande zu Beginn des 21. Jahrhunderts genügend grausige Dinge, über die wir uns Sorgen machen sollten. Wir haben Anthrax, wir haben die Pocken, wir haben die sehr reale Angst, innerhalb unserer eigenen vier Wände durch detonierende Bomben, die ein unerkannter Feind auf uns hat regnen lassen, in blutige Schmiere verwandelt zu werden. Wir müssen uns fürchten, dass man unser Trinkwasser mit Nervengas verseucht oder dass wir ohne jede Vorwarnung von den Rottweilern unseres Nachbarn zerfleischt werden. All das ist kürzlich geschehen und wird wahrscheinlich wieder geschehen.
Wir leben in gefährlichen Zeiten. Unsere Armeen sind schlagkräftig, wir geben jedes Jahr Milliarden von Dollars für neue Gefängnisse aus, und doch wird unser Leben weiterhin von Angst bestimmt. Wir sind wie Pygmäen, die sich in einem Labyrinth verirrt haben. Wir befinden uns nicht im Krieg , wir haben einen Nervenzusammenbruch.
Genau. Aber Schluss jetzt mit dem Gelaber. Wir sind Champions, also zurück zu unserer Story. Wir sprachen über die Zeugin , die mächtig große und ordinäre Frau, die sich in mein Leben wand wie eine Gift spritzende Seeschlange und mir beinahe zum Verhängnis wurde.
An jenem Abend hielten sich noch zwei andere Leute in meiner Küche auf, außerdem war da ein junges Ding, das ständig raus und rein schlüpfte. Sagen wir also, es waren fünf Personen im Haus, einschließlich der Zeugin . Sie sei froh, hier zu sein, sagte sie, denn sie habe einige Fragen an mich.
»Jetzt nicht«, sagte ich. »Wir sehen uns ein Basketballspiel an.« Ich sagte es barsch, eher im Befehlston und nicht als freundliche Bitte eines Gastgebers. Normalerweise spreche ich mit Besuchern, die zum ersten Mal bei mir auftauchen, nicht in diesem Ton, aber sie war offenkundig keine Frau, bei der freundliche Bitten fruchteten. Ich war nicht grob oder unhöflich zu ihr, aber sehr bestimmt. Ich lege großen Wert darauf, umgehend meine Haltung klarzustellen, wenn ein Störenfried in mein Haus kommt und laut wird. Das ist unannehmbar. Wir haben hier Regeln: Es sind zivilisierte Regeln, denen eine eigene Etikette zugrunde liegt. Manche Menschen empfinden sie als verstörend, weil sie so exzentrisch sind. Widersprüchlichkeiten finden sich zuhauf, dazu auch gefährliche Verschrobenheiten, vor denen die Leute gelegentlich Angst bekommen – was an manchen Tagen gar nicht so schlecht ist: Furcht ist ein gesunder Instinkt und kein Zeichen von
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