Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
diese fünf Zentimeter hatten eben gefehlt: Die Ladeklappe hatte mich direkt rechts neben dem Scheinwerfer erwischt. Mein Pick-up war an der Längsseite mit einem breiten Chromstreifen verziert, und direkt darüber, nicht ganz zehn Zentimeter höher, befand sich jetzt noch ein Streifen, und zwar ein dunkler. Ich warf einen Blick darauf und dachte: Scheiße, soll das alles sein? Weiterer Schaden war nicht festzustellen. Ich hatte nichts kaputtgefahren. Nichts war verbeult. Also sah ich mir den dunklen Streifen noch mal genauer an, und dabei wurde mir klar, dass mich die Ladeklappe direkt am Scheinwerfer erwischt und den Truck wie ein Dosenöffner aufgeschlitzt hatte – und zwar auf gesamter Länge, in einer Breite von ungefähr fünf Zentimeter –, von vorn nach hinten sauber geöffnet wie eine Sardinenbüchse. Hätte man einen solchen Schlitz auf beiden
Seiten angebracht, wären die Leute sicher gewesen, dass es sich um ein neues Design der Chevy Trucks handelte.
Ich dachte nur: Ach du Schande. Aber niemand hatte es gesehen. Es war nichts zu hören gewesen; es hatte keinen lauten Zusammenprall gegeben. Um Haaresbreite hätte ich es doch geschafft. Hybris! Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich wusste auch genau, dass der verdammte Kratzer nicht das war, wonach er aussah, nämlich ein fünf Zentimeter breiter Rallyestreifen. Aber er war so sauber gezogen, dass ich einen Moment lang dachte, ich könnte vielleicht davonkommen.
Ich ging in einen Diner auf der anderen Straßenseite, trank Kaffee und Bier und dachte: Scheiße, was mach ich bloß? … Soll ich’s jemandem sagen? Ich parkte den Truck auf dem Firmengelände mit der kaputten rechten Seite zu einem Zaun, sodass niemand den Schaden sehen konnte. Schließlich traf ich eine Entscheidung.
Ich ging rein und sagte zu dem Abteilungsleiter für Ersatzteile: »Komm doch mal her, Hank. Ich muss dir was zeigen.« Er war für solche Dinge zuständig und obendrein ein guter Freund. Ich führte ihn in der Mittagshitze hinaus auf den Parkplatz und sagte: »Bitte, ich möchte, dass du ganz ruhig bleibst, aber ich muss dir das hier zeigen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, und brauche einen Rat.« Ich nahm ihn mit auf die andere Seite, zwischen den Zaun und den Truck, und er wäre fast in Ohnmacht gefallen.
Ich fragte: »Was soll ich deswegen machen?«
Und er antwortete: »Wir müssen es Mr. Cook sagen.«
Das ist nur fair, dachte ich. Es war kurz vor der Mittagspause. Hank telefonierte und sagte, er müsse mit Mr. Cook sprechen. Aber der war nicht da. Gott sei Dank, da blieb mir ja noch ungefähr eine Stunde. Mich machte die Situation ganz kirre. Es braute sich was zusammen.
Wie es sich traf, befand sich direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite die Hauptpost von Louisville, und ich dachte, Mann, wetten, das Musterungsbüro da drüben ist noch geöffnet. Also
bin ich in der Mittagspause über die Straße marschiert und hab mich freiwillig gemeldet wie schon viele meiner Freunde. Es war ein netter Ort, um zwischen den Auslieferungsstopps mal eine Verschnaufpause zu machen – und es gab eine Warteliste von sechs Monaten. Ich dachte, Scheiße, das ist ja noch ewig hin, und jetzt muss ich doch zurück und um zehn nach eins mit Almond Cook reden. Ich hatte einen Termin bei ihm.
Also bin ich nebenan zur Air Force gegangen. Wie es sich traf, war es nur eine Tür weiter. Ich machte den Trainingstest für Piloten und brachte es auf 97 Prozent. Eigentlich war das gar nicht meine Absicht gewesen, aber ich sagte ihnen, dass ich Düsenjäger fliegen wollte, und sie erwiderten, dazu müsse ich diesen Test machen. Also fragte ich: »Wann kann ich … wann kann ich von hier abreisen?«
Und der zuständige Offizier der Rekrutierungsstelle sagte: »Na ja. Normalerweise dauert es ein paar Tage, bis jemand eingezogen werden kann, aber Sie können sich gleich Montagmorgen auf den Weg machen« – zur Pilotenschule der Lackland Air Force Base in San Antonio, Texas.
Ich dachte, Mann, ich bin hier raus.
Ich ging zurück, entschuldigte mich bei Almond Cook und sagte ihm, dass ich zugegebenermaßen als Fahrer seines Trucks versagt hatte.
Und wo steckt mein alter Freund Paul Hornung, gerade jetzt, da wir ihn dringend brauchen? Paul war der beste Running Back seiner Zeit: In der Auswahl des Bundesstaats an der Flaget High in Louisville, in der US-Auswahl an der Notre Dame und Profi bei den Green Bay Packers. Er war ein hoch gewachsener, blendend
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