Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Wiederaufnahmeverfahren.
Korrekt funktionierende Abläufe innerhalb des Systems der Verbrechensbekämpfung, des Justizsystems, des Gerichtssystems, sind von geradezu lebenswichtiger Bedeutung für uns. Sie müssen um unser aller willen gewährleistet sein, denn jeder von uns könnte zu jeder beliebigen Zeit ins Räderwerk dieser Systeme geraten. Ein ganz einfaches Strafmandat, das ihr euch nicht erklären könnt, weil ihr von einer verborgenen Kamera gefilmt wurdet, wie ihr irgendwo bei Rot über die Kreuzung gefahren seid, könnte euch in dieses System geraten lassen, und manchmal funktioniert es nicht richtig … und wenn es das nicht tut, hat jeder darunter zu leiden – auch Matthaeus und VanderJagt. Auch ich, oder auch Dean Singleton, der Verleger von The Denver Post – er und seine Familie werden unter dem Versagen des amerikanischen Justizsystems leiden müssen, wenn es nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte und wie es eigentlich konzipiert war. So wie es momentan arbeitet – und fehlfunktioniert –, stecken wir in ernsthaften Schwierigkeiten.
In einer politischen Atmosphäre, in der die breite Öffentlichkeit den U.S.A.-Patriot-Act unterstützt, ist der Fall Lisl ein klassisches Beispiel für einen Rechtsfall, der einfach durch die Maschen fiel oder als ein zu heißes Eisen erschien. Der Fall einer College-Studentin, die in schlechte Gesellschaft geriet, die ein
gutes und ordentliches Mädchen aus der Mittelklasse war, bis – okay, Lisl Auman war eine anonyme Person und sollte es auch bleiben. Dennoch lässt sich die Frage nach ihrer Schuld oder Unschuld nicht vom Tisch wischen. Wie kann sie eines Verbrechens für schuldig befunden und lebenslänglich ohne Chance auf eine vorzeitige Haftentlassung eingesperrt werden, wenn sie doch zu dem Zeitpunkt, als der Mord begangen wurde, in Handschellen auf dem Rücksitz eines verschlossenen Polizeiwagens saß?
Und das bringt uns zur Frage der Strafmilderung. Es handelt sich doch ganz klar um ein Verbrechen, das diese Frau nicht begangen hat, ein Verbrechen, dessen sich jeder von euch schuldig machen könnte, jedes Mal wenn ihr zu einem 7-Eleven fahrt, und nehmen wir mal an, die Person neben euch im Auto – vielleicht ein Freund, die Ehefrau, die Geliebte, ein Fremder – steigt aus und sagt: »Okay, ich renn schnell mal rein und besorg uns was. Wir haben einen anstrengenden Tag und eine harte Nacht hinter uns mit diesem verdammten juristischen Zeug, ich dreh gleich durch, unter solchem grauenhaftem Druck stehen wir. Deswegen werd ich jetzt da reingehen und uns noch ein paar Biere holen. Ich wünschte nur, die hätten hier auch Gin anzubieten, Mann. Gin könnte ich jetzt echt vertragen.«
Damit hast du es also zu tun: mit der ganz alltäglichen Laune eines guten Freundes oder auch eines Fremden, der aus deinem Auto aussteigt und in einen 7-Eleven-Laden geht. Es ist halb zwölf Uhr abends, und ihr habt eine lange Nacht vor euch, in der ihr euch mit irgendeiner Angelegenheit abquälen müsst, vielleicht einem Suchtproblem, wer weiß, und ihr findet einfach keine Lösung, und dein Freund – nennen wir ihn mal Curtis – na ja, du merkst genau, dass er die ganze letzte Zeit irgendwelche Sorgen hat und nervös ist, vielleicht weil es nicht so richtig läuft für ihn und für dich eigentlich auch nicht, und dann steigt er schließlich doch aus, und du reichst ihm Geld. Curtis sagt: »Nein, ist schon gut, ich hab was«, aber dann nimmt er deinen Zwanziger
trotzdem und geht dann wie ein ganz normaler Mensch am Weihnachtsabend in einen 7-Eleven-Laden, wird zu einem Rädchen im großen amerikanischen Konsumgetriebe. Er geht rein, und nehmen wir mal an, wir fügen Curtis’ Lebenslauf einfach hinzu, dass seine Schwester vor vielen Jahren einen Koreaner geheiratet hat und sich bei Curtis im Laufe der Jahre immer mehr Vorbehalte entwickelt haben – wir sollten die ganze Geschichte vielleicht im Moment nicht aufrollen, sondern einfach nur erwähnen, dass die Ehe des koreanischen Gentleman mit der Schwester von Curtis keine Früchte trug, und seither hasste Curtis alle Koreaner. (Der Typ, der seine Schwester heiratete, hatte ihm außerdem mal einen Fausthieb an die Schläfe versetzt.)
Curtis steigt also aus dem Auto, und du entspannst dich, liest die Zeitung, während er, ein alter Freund und Journalist, extrem mies gelaunt und allergisch auf Koreaner, in den Laden geht. Hinter der Verkaufstheke steht ein Koreaner. Curtis will nichts weiter als ein
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