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Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)

Titel: Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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durch eine Art Stammesloyalität eng miteinander verknüpft …

Die letzten Tage von Saigon
    So bye bye, Miss American Pie,
Drove my Chevy to the levee, but the levee was dry,
Them good ole boys were drinkin’ whiskey and rye,
Singin’ this’ll be the day that I die,
This’ll be the day that I die …
Ref 5
    Ich hatte diesem Song nie sonderlich Beachtung geschenkt, bis ich ihn eines Samstagnachmittags als Hintergrundmusik im Dachgartenrestaurant des neuen Palace Hotels hörte, von wo aus ich auf die orangefarbenen Ziegeldächer des brodelnden Vulkans blickte, der mal unter dem Namen Saigon bekannt war. Bei Gin und Lime diskutierte ich mit Murray Sayle, dem Korrespondenten der London Sunday Times, Fragen der Kriegsführung. Wir waren gerade in einer Rikscha mit Harley-Motor von der Pressekonferenz zurückgekehrt, die wöchentlich von den Vietcong auf ihrem mit Stacheldraht umzäunten Gelände auf Saigons Tan-Son-Nhut-Flughafen abgehalten wird, und Sayle hatte zwischen uns auf dem Tisch eine große geophysikalische Indochina-Karte ausgebreitet. Er benutzte einen roten Filzstift als Zeigestock, um mir zu verdeutlichen, wie und warum es die südvietnamesische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Nguyen Van Thieu geschafft hatte, in weniger als drei Wochen das halbe Land und US-Waffen im Wert von drei Milliarden Dollar einzubüßen.
    Ich gab mir alle Mühe, mich auf seine Erläuterungen zu konzentrieren, die mir beim Betrachten der Karte auch durchaus einleuchteten, aber eine eigentümliche Mischung verschiedenster äußerer Einflüsse an jenem Nachmittag, der sich schon bald als der vorletzte Samstagnachmittag des Vietnamkriegs erweisen sollte, erschwerte die Konzentration. Außerdem hatte ich mich noch nie weiter westlich als San Francisco aufgehalten, bevor ich vor ungefähr zehn Tagen in Saigon eingetroffen war –
kurz nachdem die südvietnamesische Armee in den »Schlachten« um Hué und Da Nang vor den Fernsehkameras der ganzen Welt vernichtend geschlagen worden war.
    Dabei hatte es sich um die angekündigte »Großoffensive Hanois« gehandelt, die den gesamten Krieg plötzlich auf einen Belagerungsring von weniger als fünfzig Meilen im Durchmesser reduzierte … und im Laufe der letzten paar Tage, als eine Million oder mehr Flüchtlinge aus den nördlichen Panik-Zonen um Hué und Da Nang nach Saigon strömten, war schmerzhaft deutlich geworden, dass Hanoi überhaupt nie eine »Großoffensive« gestartet hatte, sondern dass die Elite der so glänzend von den USA ausgebildeten und bewaffneten südvietnamesischen Armee in Panik verfallen und Amok gelaufen war. Die Filme, die zeigten, wie ganze ARVN-Divisionen kopflos durch die Straßen von Da Nang flohen, hatten offenbar die NVA-Generäle in Hanoi so gründlich überrascht, wie sie jenen Holzkopf von Politschmarotzer schockiert haben musste, den Nixon als Dank dafür, dass er ihn vor dem Gefängnis bewahrt hatte, ins Weiße Haus gehievt hatte.
    Gerald Ford leugnet das zwar noch immer, aber wen juckt’s? Es ist auch kaum mehr von Bedeutung, denn nicht einmal ein krimineller Schleimscheißer wie Nixon wäre so dämlich gewesen, in den Nachwehen der Katastrophe von Da Nang eine landesweit im Fernsehen übertragene Pressekonferenz abzuhalten, in der er den Horror der Bilder, die Millionen USA-Bürger die Woche über im Fernsehen hatten mit ansehen müssen, noch unerträglicher machte, indem er sich weigerte zu leugnen, dass die achtundfünfzigtausend in Vietnam gefallenen Amerikaner ihr Leben vergeblich geopfert hatten. Sogar durch und durch dem Establishment verpflichtete Kommentatoren wie James Reston und Eric Sevareid waren entsetzt über die stümperhafte und schon beinahe grausam dämliche Vorstellung, die Ford bei jener Pressekonferenz bot. Außer zu den Ehefrauen, den Eltern, den Söhnen, den Töchtern sowie weiteren Verwandten und
Freunden der achtundfünfzigtausend gefallenen Amerikaner sprach er auch noch zu mehr als hundertfünfzigtausend Veteranen, die in Vietnam verwundet, verstümmelt oder zu Krüppeln wurden … und um die Wirkung zu erreichen, die seine Aussagen hatten, hätte man ebenso gut Hemingways Worte über Männer zitieren könne, die in einem anderen Krieg und vor vielen Jahren gefallen waren – Männer, die »abgeknallt wurden wie die Hunde, und völlig sinnlos obendrein«.
    Meine Erinnerungen an jenen Tag sind überdeutlich, denn zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Saigon wurde mir schlagartig bewusst, wie nahe wir dem

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