Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
unterwegs unbedingt anhalten wollte, um mir ein kaltes Bier zu genehmigen, schien nichts gegen eine kleine Unterhaltung zu sprechen. Aus journalistischer Gewohnheit sprach ich ihn an und erwartete keine brauchbaren Informationen, aber Randolph überraschte mich.
»Da fragen Sie den Richtigen«, sagte er bissig. »Sie sprechen mit einem Mann, der seine Frau an die Revolution verloren hat.«
Uups, dachte ich. In seiner Stimme klang etwas mit, das mich veranlasste, in meine Umhängetasche zu greifen und mein kleines Aufnahmegerät hervorzuholen. Randolph war offenbar erpicht darauf, seine Geschichte zu erzählen. Ich brauchte nur ab und zu eine Zwischenfrage zu stellen, um am Ball zu bleiben, während wir im niedrigen Gang durch die Dunkelheit krochen.
Wir fuhren auf einer schmalen Landstraße, der wichtigsten Verbindung quer über die Insel, an Grenville vorbei und an Great Bay und über die steilen vulkanischen Buckel Mt. Lebanon und Mt. Sinai, durch den Grand Etang Forest. Nicht viel anders als auf einer Landstraße in New England kamen wir hier und da an kleinen Häusern vorbei, und ich lehnte mich zurück, um mir die Geschichte anzuhören, die Randolph zu erzählen hatte. Zuerst hielt ich ihn für einen CIA-Spitzel; einen von vielen redegewandten einheimischen Taxifahrern, die am Flugplatz Journalisten aufsammelten, wenn diese endlich aus der Zollbaracke ins
Freie traten, sich umsahen und nichts anderes erblickten als einen Haufen Holzhütten in einem Palmenhain dicht am Meeresufer. Pearls Airport könnte auch vor fünfzig Jahren irgendwo auf den Philippinen zusammengezimmert worden sein, mit einer Schotterpiste direkt neben der Rollbahn und ein paar Dutzend einheimischen Beamten, die in der Bar herumlungern, der ein Lebensmittelladen angeschlossen ist.
Die Insel hat einhundertzehntausend Einwohner, was der Größe von Lexington, Kentucky, entspricht, und eine Bevölkerungsdichte von ungefähr einer Person auf gut zweieinhalb Quadratkilometer – im Vergleich dazu hat eine Person in Hongkong kaum mehr als ein paar Quadratzentimeter Platz. Grenada ist zweifellos eine unterentwickelte Insel, nicht zu vergleichen mit Barbados oder Jamaica oder Trinidad, und man kann sich nur schwer vorstellen, dass sich hier etwas ereignet, das überall in der Welt Schlagzeilen macht und zum Anlass für eine Invasion durch die US-Marines wird.
Aber Randolph erläuterte mir, dass die Situation auf der anderen Seite der Insel, wo es in jüngster Zeit Gewaltausbrüche gegeben hatte, grundverschieden war. Er könne die US-Invasion nur begrüßen, sagte er. Sie hatte ihn – endlich – von einer grausamen Belastung befreit, unter der er litt, seit er und seine Frau vor fünf Jahren beschlossen hatten, sich der Revolution anzuschließen.
Keiner von beiden war ursprünglich Kommunist gewesen, und Marxismus war nur ein Wort, das er in der Schule aufgeschnappt hatte, zusammen mit Maurice Bishop und Bernard Coard und den anderen Kindern aus der Nachbarschaft. Damals wussten sie nicht mehr über die USA, als dass es sich um ein großes und mächtiges Land handelte, in dem Cowboys und Soldaten Indianer umbrachten. Von Russland, Kuba und Kanonen wussten sie gar nichts.
Aber alles änderte sich, als Grenada unabhängig wurde. Manche der Jungs gingen nach England und dort zur Schule. Als sie
zurückkamen, hatte sie der Ehrgeiz gepackt. Die neue Regierung sei korrupt, sagten sie, der Premierminister sei verrückt und das Weltgeschehen ginge an ihnen vorüber. Bishop und einige seiner Freunde beschlossen, eine eigene politische Partei zu gründen, die sie New Jewel Movement nannten. Es sei die Partei des Volkes, sagten sie, und es waren hauptsächlich junge Leute mit einem noch unausgegorenen sozialistischen Parteiprogramm, die bei ihren Kundgebungen Reggae-Musik spielten. Hunderte schlossen sich der Partei an, und es entwickelte sich an der Basis ein Enthusiasmus, der Eric Gairy aus dem Amt zwang und ihn durch Maurice Bishop ersetzte.
Er habe da mitgemacht, erläuterte Randolph, weil er glaubte, New Jewel würde dafür sorgen, dass alle Bewohner von Grenada ein Leben in mehr Wohlstand führen konnten. Die meisten der neuen Führer kannte er persönlich, und nicht zuletzt war er auch Geschäftsmann. Während Bishop an die London School of Economics gegangen war und Coard an der Universität von Dublin studierte, kletterte Randolph als selbstständiger Lastwagenfahrer die Erfolgsleiter hinauf und sparte Geld für ein Eigenheim. Als New
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