Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Jewel an die Macht kam, hatte er Freunde in hohen Stellungen. Zu ihnen gehörten Hendrick Radix, der neue Justizminister, und Hudson Austin, der schon bald zum befehlshabenden General der Revolutionären Volksarmee ernannt werden sollte. Es war eine aufregende Zeit für Randolph, dieses Jahr auf der Überholspur. Er besaß ein Haus auf einem Hügel in St. George’s, die Lizenz, als selbstständiger Unternehmer eine Spedition zu betreiben, und darüber hinaus genügend persönlichen Einfluss, um seiner neuen Ehefrau eine Stellung in der Parteizentrale zu verschaffen.
Aber dann fing der Ärger an. Zuerst betrog ihn General Austin um Geld, und dann lockte Phyllis Coard, die Frau des Stellvertretenden Premierministers, seine Frau nach Kuba. Danach ging alles bergab.
Mein Kassettenrekorder, den ich schon bald nach der Abfahrt vom Pearls Airport eingeschaltet hatte, lief bis zu dem Augenblick, als wir auf den kleinen Parkplatz des St. George’s Hotel fuhren. Wir hatten unterwegs mehrere Male in schwach beleuchteten Hütten Rast gemacht, um uns ein paar kalte Biere zu gönnen, die Randolph freundlicherweise bezahlte, weil ich kein grenadisches Geld hatte. »Nicht der Rede wert«, sagte er. »Es ist mir ein Vergnügen.«
Was durchaus stimmte. Er hatte seinen Spaß und ich nicht minder. Es gibt schlimmere Arten, in ein Kriegsgebiet zu gelangen, als in jeder Dorfkneipe Halt zu machen und sich unter freundliche Menschen zu mischen. In einer der Kneipen wurde ich leicht nervös, als ein riesiger Neger im Anstaltskittel mich einen »blöden verschissenen Russen« nannte, aber Randolph winkte ihn weg. »Der Mann ist total irre«, flüsterte er. »Der gehört zu denen, die aus der Klapsmühle abgehauen sind, als die Bomben einschlugen.«
Aus meinem Zimmer im St. George’s Hotel, hoch oben auf einem steilen grünen Hügel mit Blick auf den Hafen, sehe ich an einem heißen Sonntagmorgen die ganze Stadt zum Leben erwachen. Die Hähne fangen um sechs Uhr zu krähen an, die Kirchenglocken starten ihr aufgeregtes Gebimmel gegen sieben, und als ich um neun aufwache, liegt ein halb aufgegessenes Büschel blauer Trauben zwischen meinem Bett und der Duschkabine in meinem Badezimmer. Es ist das Zeichen, dass der Flughund da war. Ich hab das Biest noch nie gesehen, aber die Weintrauben liegen jeden Morgen da. Der Flughund bringt jede Nacht seinen Mitternachtsschmaus in mein Zimmer und knabbert an den Trauben. Dabei hängt er kopfüber von der Zimmerdecke herab. Es ist sein angestammter Futterplatz, und weder Krieg, Revolution, Invasion durch US-Marines noch eine internationale Horde von Pressefritzen konnten das Ritual seiner Abendmahlzeit stören.
Dieser Flughund ist richtig groß. Manchmal kann ich hören, wie er in der Dunkelheit umherflattert, und das Geräusch seiner Flügel lässt darauf schließen, dass er ungefähr so groß sein muss wie eine Rabenkrähe. Manche von diesen Flughunden sind Überträger von Tollwut, aber es lässt sich nur schwer sagen, welche.
Die Lobby des St. George’s ist an einem Sonntagmorgen normalerweise leer. Die Einheimischen sind zusammen mit einer Hand voll britischer Untertanen zur Kirche gegangen, und die Kriegsberichterstatter schlafen. Nicht einmal Maitland, der junge Barmixer mit der hohen schwarzen Stirn und den flinken braunen Augen eines Jungen, der lieber irgendwo Jura studieren sollte, ist heute an seinem Platz. Die Bar, durch eine steile Treppe mit dem Speisesaal verbunden, ist leer.
Sogar der Speisesaal ist leer. Zu sehen sind nur ein paar Taxifahrer, die schlaftrunken draußen auf der Betonmauer sitzen, von der aus man auf den Hafen und die großen Frachter hinunterblickt, die entlang der Carenage am Pier vertäut liegen.
Um zehn Uhr morgens ist für die Presse eine Lagebesprechung im Maryshaw House anberaumt, das erst kürzlich in ein internationales Pressezentrum umgewandelt wurde, und einige Korrespondenten müssten sich jetzt wohl schleunigst aus dem Bett schälen, um noch rechtzeitig dort zu erscheinen.
Mein Zimmer hat die Nummer Fünfzehn, und es gibt nur einen Schlüssel. Kein Generalschlüssel an der Rezeption, kein Hauptschlüssel beim Zimmermädchen, kein Schlosser im Hause und der nächste erreichbare erst in Bridgetown. Als ich mich gestern aus meinem Zimmer ausgeschlossen hatte, brach die gesamte Infrastruktur des Hotels zusammen. Maitland musste die Bar im Stich lassen und die folgende Dreiviertelstunde im Regen auf einer kaputten und teilweise morschen
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