Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Holzleiter verbringen, die wir unter großen Mühen an der Mauer unter
meinem Fenster aufgerichtet hatten. Ich hielt die Leiter, während er die schmalen Scheiben aus dem Lamellenfenster zog und dann nach innen kroch, um die Tür zu öffnen.
Das St. George’s ist ein Weltklassehotel. Es ist schon immer eines meiner Lieblingshotels gewesen und steht zusammen mit dem Hotel Continental Palace und dem berüchtigten Lane-Xang in Laos ganz oben auf meiner Bestenliste. Jetzt, kurz nach der Invasion, hatten sechshundert Reporter hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen, und es gab nur neunzehn Zimmer, davon neun mit heißem Wasser. Keine Frauen im Hause, kein Eis in den Drinks, keine Kreditkarten wurden akzeptiert, kein Telefon, kein Fernsehen, scharfe Sauce und fader Schinken zum Frühstück … aber die Hotelleitung war zuvorkommend und freundlich, drei ältliche Damen, die auch in Situationen absolut unerschüttert blieben, die den besten Leuten an der Rezeption eines Hilton oder Holiday Inn den Verstand geraubt hätten.
Nach vier Wochen frustrierender Ungewissheit in der Hitze und Hektik eines völlig chaotischen Kriegsgebiets konnte uns auch im St. George’s nichts mehr überraschen. Als ich neulich nachts in mein Zimmer wollte, stieß ich auf zwei große Holzkreuze, die vor meiner Tür an der Wand lehnten. Eins war fast drei Meter lang und bestand aus Vierkanthölzern, die man miteinander verschraubt hatte, das andere war nur knapp zwei Meter lang, aber genauso konstruiert. Maitland erzählte mir, dass sie den beiden Männern gehörten, die das Zimmer Sechzehn bewohnten, direkt neben mir – einem amerikanischen Erweckungsprediger und seinem Sohn, einem Teenager. In sechs Jahren hatten sie die Kreuze durch achtundsechzig Länder getragen. Niemand fragte, warum.
Die Invasion von Grenada hätte nicht stattgefunden, wenn andere Inselstaaten in der Gegend nicht so sehr eingeschüchtert gewesen wären, dass sie überreagierten. Man bräuchte nicht mehr als ein Dutzend
Männer in einem Boot, um manchen dieser Regierungen den Garaus zu machen.
Commonwealth Generalsekretär Sir Sridath Ramphal,
29. November 1983
In den Hafenkneipen an der Carenage wird in diesen Tagen wild spekuliert. Die Leute sprechen von Rache und Gewalt und eventuell einer weiteren Invasion. Psy-Ops, die Psycho-Kriegführer beim US-Militär, die fürs Siegen, fürs Auspeitschen und auch dafür zuständig sind, Herzen wie Verstand der Bevölkerung in Panik zu versetzen, haben die Kunde verbreitet, Fidel Castro würde den Einwohnern von Grenada »ein Überraschungsgeschenk zu Weihnachten« servieren.
Den Menschen hier ist noch immer schwindlig vom Schock der letzten Invasion, einem massiven und konzertierten Angriff durch US-Marines, Rangers, Seals, Marinefliegern, Kriegsschiffen, der 82. Luftlandedivision, durch Tausende von Fallschirmjägern, furchtbare Explosionen bei Tag wie bei Nacht. Ihr Premierminister wurde ermordet, und ihre Frauen wurden von wilden Kubanern verschleppt. Ihre Autos wurden gestohlen und ihre Türen eingetreten. Manche ihrer besten Freunde und manche ihrer Verwandten wurden von Maschinengewehrgarben zweigeteilt, von Raketen in Brand gesetzt, durchlöchert wie Fearless Fosdick in Al Capps »Li’l Abner«-Comic. Wir sind über diese Insel hergefallen, als sei sie Iwo Jima. Die Invasion von Grenada war einer jener Einsätze nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip, von denen jeder West-Point-Absolvent träumt – geringes Risiko und hoher Profit. Man lasse die geballte militärische Schlagkraft der USA auf eine kleine Insel in der Karibik los und nenne das Ergebnis einen großartigen Sieg. Kloppt die Wichte zu Brei; schmeißt Bomben auf arme Verrückte in ihrer Anstalt; trampelt alles nieder, schwingt wilde Reden und tretet vorne, hinten, rechts und links allen in den Arsch. So lief es auf Grenada.
Noch weiß niemand so richtig, warum, aber das wird sich sicher
alles noch herausstellen. In der Lobby vom St. George’s wurde heute gemunkelt, dass Tony Rushford, der neue Justizminister und offizielle Repräsentant der Britischen Krone, vorhat, Bernard Coard so schnell wie möglich wegen Mordes vor Gericht zu stellen.
»Lange bevor wir mit dem Laden hier ganz aufgeräumt haben, werden sich diese Dreckskerle wünschen, das Wort Revolution nie gehört zu haben«, sagte ein Agent, der für die CIA Komplotte schmiedet und getarnt als karibischer Gelehrter für die US-Botschaft arbeitet. »Dieses Gequatsche von wegen Nazis und
Weitere Kostenlose Bücher