Königsallee
einzurichten und das Spezialeinsatzkommando zu mobilisieren. Koch hatte keine Chance und eigentlich musste er das wissen.
Sie erreichten das Tunnelende. Koch telefonierte wieder. »… wenn du nicht tust, was ich sage. Geh zu den Gehry-Bauten und stell dich ans Ufer. Wenn ich sehe, dass du allein bist, rufe ich dich an. Mach schnell!«
Ein Streifenwagen kam ihnen mit Blaulicht entgegen. Koch wandte sich um, Panik in den Augen. Scholz behielt den Rückspiegel im Blick – der Grün-Silberne verschwand, ohne seine Richtung geändert zu haben.
Koch steckte das Mobiltelefon ein und lotste Scholz in großem Bogen über den Stadtteil Hamm in das Hafengebiet.
Zehn Minuten später fuhren sie die Speditionsstraße entlang bis an das Ende der Landzunge.
»Auf den Parkplatz!«, verlangte Koch. »Ganz hinten, letzte Reihe.«
Scholz atmete auf. Die Odyssee hatte ein Ende. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer zitterte.
Koch humpelte beim Aussteigen. Er öffnete den Kofferraum und wühlte in der Einsatztasche, bis er Kabelbinder fand. Scholz wusste, was ihm bevorstand. Für einen Moment spekulierte er, was geschehen würde, wenn er sich weigerte. Kochs verzweifelte Miene und das dunkle Loch der Pistolenmündung ließen ihn den Gedanken beiseiteschieben.
Der Kollege fesselte ihm die Hände auf den Rücken – viel zu eng, die Plastikriemen schnitten ins Fleisch. Dann trieb Koch Scholz vor sich her. Vor ihnen lag das Gelände, das bis gestern noch Gekko-Beach geheißen hatte und jetzt auf Baumaschinen wartete, die einen Hochhauskomplex errichten würden.
Das Tor zu dem weitläufigen Grundstück stand offen. Vernagelte Bretterbuden, behangen mit Lautsprecherboxen. Lampionketten überspannten das Areal. Liegestühle und Strandkörbe warteten auf ihren Abtransport. Sie passierten ein Volleyballfeld und sandgefüllte Öltonnen, in denen abgebrannte Fackeln steckten. Scherben zerschlagener Gläser knirschten unter den Sohlen. Überall Bierbänke, Tische und Sand. Scholz las nutzlos gewordene Wegweiser: Grill 59 m, Cocktailbar 77 m.
»Dort rüber«, befahl Koch und wies auf das Holzgebäude, das dem Hafenbecken am nächsten stand.
»Was hast du vor?«
»Du machst jetzt ’ne kleine Pause.«
»Und du?«
»Abhauen.«
»Klingt nach einem besonders ausgefeilten Plan.«
»Schnauze.«
Der Geiselnehmer trat die Tür zu dem Schuppen ein und stieß Scholz ins Innere. Dort war es düster, nur spärliches Licht drang durch die Ritzen der verschlossenen Fensterläden. Das Gebäude hatte einmal die Hafenfeuerwehr beherbergt, dann hatten es die Gekkos zum Restaurant umgebaut. Jetzt ähnelte es mehr einer Rumpelkammer: Der vordere Raum war mit Grillrosten vollgestellt, Säcken voller Kohle, Benzinkanister und Gasflaschen. Hinter dem Tresen Sonnenschirme sowie Heizbrenner für den Aufenthalt im Freien bei kühler Witterung.
Koch schubste Scholz in einen Nebenraum. Hier sah es ähnlich aus. Die Tische waren an die Wand geschoben und aufeinandergestellt. Davor gestapelte Stühle aus Rattangeflecht.
»Hinlegen!«
Scholz gehorchte. Staub bedeckte die Bodendielen. Es roch nach Moder.
Koch fesselte ihm die Beine. Ein dritter Kabelbinder verband Hände und Füße – in dieser Stellung konnte sich Scholz kaum noch rühren. Er fragte sich, was in Kochs Kopf vorging. Die Behörde würde sich niemals auf die Forderungen eines Geiselnehmers einlassen.
Koch verschwand im Hauptraum. Ein Fensterladen knarrte. Licht fiel in einem schmalen Streifen durch die Tür. Für einen Moment spürte Scholz leichten Durchzug.
Er hörte, wie Koch einen Kanister schüttelte – Flüssigkeit, die gegen Plastikwände schwappte. Gleich darauf der knirschende Laut eines Verschlusses, der aufgeschraubt wurde. Ein lang anhaltendes Plätschern und ein hohles Poltern, als Koch den leeren Behälter durch den Raum schleuderte. Die Prozedur wiederholte sich zwei Mal.
Dann ein hässliches Geräusch, ganz nah. Scholz drehte den Kopf. Sein Entführer riss Klebebandstreifen von einer Rolle. Wieder wusste Scholz, was kommen würde.
Koch beugte sich zu ihm herab. »Drück mir die Daumen, Kollege. Denn wenn es schiefgeht, fliegst du mit mir in die Luft.«
Er knebelte Scholz und verschwand wieder nach nebenan. Sein Schatten ließ den Lichtstreifen, der durch das Fenster fiel, unruhig und schmal werden. Am Gemurmel erkannte Scholz, dass sein Entführer erneut telefonierte.
Scholz verfluchte den Scheißkerl. Mühsam stemmte er sich in eine kniende Position –
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