Königsallee
Reuter. Er duckte sich tiefer und japste nach Sauerstoff. Ihm fiel ein, gelesen zu haben, dass neun von zehn Brandopfer nicht durch die Flammen getötet wurden, sondern an Kohlenmonoxidvergiftung starben.
Er musste noch zwei Mal schießen, dann waren zumindest die Füße des Kollegen frei. Doch Scholz war kraftlos und kam nicht auf die Beine.
Die Flammen kamen näher. Der beißende Rauch wurde dichter.
Reuter hielt den Atem an. Er packte den schweren Kollegen unter den Armen und schleifte ihn über den Boden. Sein Sakko fing Feuer, er schlug danach und stolperte durch Hitze und Rauch, die Fensteröffnung suchend, durch die er gekommen war.
73.
»Die Intertextualität architektonischer Formensprache verweist auf die vitale Korrespondenz zwischen urbaner Situation und ökonomischer Dynamik, für die ich bekanntermaßen …«
Die Medienvertreter lauschten. Kroll verlieh den Sätzen eine Melodie, setzte bedeutungsvolle Pausen und betonte fast jedes zweite Wort. Er hätte auch Prediger werden können, dachte Simone. Erst am Schluss wich Kroll von ihrer Vorlage ab. Er konnte es einfach nicht lassen.
Der Oberbürgermeister pries die neuen Investoren des Hafen-Congress-Centrums – und sich selbst dafür, deren Geld in die Stadt gelenkt zu haben. Er ritt eine Attacke gegen diejenigen Journalisten, die in den letzten Wochen Sympathien für Gekko-Beach bekundet hatten.
»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer«, sagte er abschließend. »Und eine Eidechse erst recht keinen Aufschwung, meine Damen und Herren. Dafür sorgt allein eine zukunftsgewandte Politik, und gemeinsam mit starken Partnern und allen, die guten Willens sind, werde ich dafür sorgen, dass die Wirtschaftsmetropole Düsseldorf weiterhin auf einem Niveau wächst und gedeiht, von dem andere Städte nicht einmal zu träumen wagen. Ich danke Ihnen.« Kroll zeigte wieder seine Zähne. Er blickte in jede Richtung, aus der ein Blitzlicht aufflammen könnte.
Erneut applaudierten sogar Journalisten. Simone wusste, dass es in Düsseldorf morgen keine Zeitung geben würde, die das Stadtoberhaupt nicht in den Himmel heben würde.
Nach ihm ergriff Karpow das Wort, die Marionette des transnistrischen Präsidentensohns. Eine umständliche Rede, die nicht recht in Schwung kam. Der angebliche Ölmilliardär lobte die Stadt, ihre Bedeutung in Europa und ihre moderne Verwaltung. Die Dolmetscherin las die deutschen Sätze vom Blatt.
Dann sang der Russe plötzlich die Hymne auf Düsseldorfs Fußballverein. Karpow erklärte, die neue HCC-Betreibergesellschaft werde Fortuna Düsseldorf ab sofort als Hauptsponsor unterstützen und die Kosten für fünf neue Profikicker übernehmen, die in ihren Heimatländern allesamt zum Nationalkader gehörten.
Blitzlichtgewitter, Kamerascheinwerfer blendeten. Die Reporter drängten aus ihren Sitzreihen nach vorn. Der große Moment war gekommen: Kroll und sein Investor schritten zur Unterschrift.
Das Stadtoberhaupt schüttelte Karpow die Hand, als wollte er sie dem Russen vom Arm reißen. Der Pressesprecher reichte einen rot-weißen Fortuna-Schal nach vorn. Kroll und Karpow reckten das Fan-Utensil gemeinsam in die Luft. Krolls Zähne leuchteten im grellen Licht.
Er will gar nicht wissen, worauf er sich einlässt, dachte Simone.
Der Verwaltungschef winkte die umstehenden Leute zu sich – sie alle sollten mit aufs Bild.
Simone folgte widerstrebend. Lohmar fiel ihr ein, dessen Projektauftrag nun erledigt war. Der Unternehmensberater konnte sich neuen Geschäften zuwenden oder ganz aufhören, wie es ihm beliebte.
»Frau Beck?« Eine tiefe Stimme mit schwerem Akzent. Simone blickte in Turins blaue Augen. »Haben Sie nicht Sorge wegen Jewgeni. Er wird lassen Sie in Ruhe.«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. Noch immer knipsten die Fotografen.
Kroll legte eine Hand auf Simones Schulter. »Die HCC-Betreibergesellschaft braucht jetzt einen Geschäftsführer, der die Strukturen dieser Stadt kennt und Durchsetzungsfähigkeit bewiesen hat.«
Nimm deine Finger weg und bleib mir vom Leib, schoss es ihr durch den Kopf.
Das Stadtoberhaupt hatte eine würdevolle Miene aufgesetzt. »Herr Karpow denkt dabei an Sie, Frau Beck.«
Simone blickte in die Gesichter, die sie umringten, und spürte, wie ihr der Kopf schwirrte. Sie musste dringend an die frische Luft.
76.
Die Hitze wurde unerträglich. Ein Stapel brennender Rattansessel fiel in sich zusammen. Reuter trat die Trümmer aus dem Weg.
Wieder wurde der Qualm so dicht, dass Reuter die Luft
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