Königsallee
Artnappings für das Gemälde erhalten hatte. Dazu das Honorar für Edgar – unter dem Strich blieb dem Museum noch ein satter Gewinn. Alle Seiten konnten zufrieden sein, nur die Versicherung hatte bluten müssen. Der Strafanspruch des Staates tritt zurück gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an der Wiederbeschaffung des Kulturguts. Die Sache gefiel Reuter nach wie vor nicht.
Das Handy vibrierte in seinem Sakko.
Michael Koch, sein Partner: »Wo steckst du, Jan?«
»Wieso, was liegt an?«
»Hast du unsere Durchläuferin auf die Telefonaufzeichnungen unseres Koksbarons angesetzt?«
Durchläuferin – Koch meinte die frisch gebackene Beamtin, die acht Wochen ihrer Ausbildung im KK 22 verbrachte und Bea hieß.
»Wir sind zum Teil mehr als eine Woche im Rückstand«, antwortete Reuter.
»Bea will herausgefunden haben, dass Böhr sämtliche Firmen verkauft hat.«
»Tatsächlich?«
»Angeblich schon letzte Woche. Ich prüfe das gerade. Wo zum Teufel steckst du?«
»Bin gleich da.«
»Du denkst dran: Wir ermitteln nicht mehr wegen des geraubten Gemäldes. Ich habe keine Lust, mich mit der Staatsanwaltschaft anzulegen.«
»Ist klar, Michael.« Reuter beendete das Gespräch.
»… und die Figur rechts hat Beckmann, wie wir wissen, einem Fresco von Francesco Traini aus dem 14. Jahrhundert entnommen. Nicht alle Anspielungen sind bis heute entschlüsselt …«
Hatte der Koksbaron seine Läden verscherbelt, um seine Eltern freikaufen zu können? Aber wer hatte dann die drei Millionen für das Bild eingestrichen?
Reuter entdeckte seinen Bruder. Edgar sah smart aus wie immer: ein hellbrauner, schmal geschnittener Nadelstreifenanzug, weißes Hemd, dezente Krawatte.
»Beckmann wollte den Menschen ein Bild ihres Schicksals geben. Das Leid einer unschuldigen Familie steht für die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz. Der Blick des Malers ist der des desillusionierten Chronisten. Seine Erkenntnis ist die des Ausgesetztseins in einer gewalttätigen Welt. Ich danke Ihnen.«
Applaus brandete auf und der Museumschef bat die Vorsitzende des Fördervereins auf das Podium, eine üppige Blondine fortgeschrittenen Alters. Sie trug ein Kostüm, das ein sonnenverbranntes Dekolleté zur Schau stellte, verziert durch eine mehrreihige Perlenkette. Der Direktor tätschelte ausführlich ihre Schulter.
Beherzt griff die Dame nach dem Mikro und bedankte sich bei Rechtsanwalt Dr. Reuter für seine »brisanten Verhandlungen mit der Unterwelt«. Als sie Edgar mit Bussi-Bussi empfing, ließen sämtliche Fotografen ihre Kameras blitzen.
Reuter spürte, wie seine Anspannung wuchs.
Sein Bruder bog den Mikrohalter zurecht. »Danke, Frau Castorp. Sie haben recht, die Rückführung dieses Meilensteins deutscher Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts hat vor allem Nerven gekostet. Einer von uns bekam sogar graue Haare.«
Edgar zwinkerte zum silbermähnigen Museumsleiter hinüber. Das Publikum lachte.
»Stellen Sie sich die Leute, mit denen ich verhandeln musste, als hochkriminelle und skrupellose Personen vor, die ihren ganz eigenen Ehrenkodex haben und erwarten, dass ich mich daran halte. In solchen Kreisen herrschen Denkstrukturen, die ich zu durchschauen erst lernen musste. Tiefstes Misstrauen, natürlich auf beiden Seiten, und ich saß oft genug zwischen den Stühlen.«
Der Leitende Oberstaatsanwalt Münch stand im Hintergrund und lauschte ergriffen. Seine Fliege war heute gelb mit grünen Punkten – vielleicht glaubte er, als Papagei korrespondiere er gut mit Kunst.
Fünf Kamerateams und ein Pulk von Pressefotografen rangelten um die beste Sicht.
»Es gab eine Phase, in der ich mit einer halben Million Euro aus privatem Vermögen in Vorleistung treten musste, weil die Kunstsammlung aus nachvollziehbaren Gründen zögerte, aber die Kriminellen plötzlich mit der Vernichtung des Bildes drohten. Stellen Sie sich das Gefühl vor, wenn man mit so viel Bargeld nachts um eins in einem Parkhaus wartet. Noch schlimmer aber war, dass ich zunächst gar nicht wusste, ob die Leute, die mir das Geld abgenommen hatten, überhaupt im Besitz des Beckmanns waren. Eine verrückte Situation, in die sich kein normaler Mensch begeben würde, aber anders wäre ich nicht weitergekommen.«
Jeder im Saal schien die Luft anzuhalten und an den Lippen des geschniegelten Staranwalts zu hängen – Edgars Blabla nervte Jan Reuter zunehmend.
»Zu Beginn hatte ich keine Ahnung, wer das Bild hatte. Ich kannte nur den ungefähren Weg, es
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