Königsallee
Blick auf die Uhr – halb drei. Auch das hielt Scholz fest.
Er ließ den Motor an. Als sie die Graf-Adolf-Allee entlangfuhren, beschwerte sich Ritter über das Tempo. Zu langsam, meinte der Dienstgruppenleiter.
Als das trutzig wirkende Präsidium, das sie Festung nannten, in Sicht kam, bemerkte Scholz im Augenwinkel einen Radfahrer, der ohne Licht aus einer Seitenstraße schoss und erst im letzten Moment stoppte. Erschrocken und viel zu heftig trat Scholz auf die Bremse.
Die Reifen quietschten. Etwas polterte im Kofferraum und sein Beifahrer stieß sich den Kopf an der Scheibe.
»Spinnst du?«, brüllte Ritter und befühlte seine Stirn. »Was war das?«
»Schnall dich an«, antwortete Scholz, sich ungerührt gebend. Mit pochendem Herzen fuhr er weiter.
Ritter tobte: »Und ob ich dich in die Projektgruppe schicke! Du willst nicht in der Kriminalwache bleiben, und das ist ganz in meinem Sinn. Die Projektgruppe ist tatsächlich ein Beurteilungsbaustein. Kriech den Obermuftis in den Arsch. Betrachte es als deine letzte Chance!«
Scholz ignorierte ihn. Als er ausstieg, warf er die Tür mit Wucht zu. Was ihn am meisten ärgerte, war die überflüssige Bremsung wegen des Radfahrers – solche Dinge waren der Grund, warum er nicht gern Auto fuhr.
Er ging in den Wachraum, wo er seine Berichte ausdruckte und in die Fächer für die zuständigen Kommissariate legte. Den Wohnungseinbruch bekam das KK 32, den dicken Mercedes mit den Anzugträgern seine alte OK-Gruppe.
Zu Marietta sagte er: »Ab jetzt bist du meine Partnerin. Ich arbeite nicht mehr mit Ritter.«
»Wegen meiner schönen Augen oder weil du dich chauffieren lassen möchtest?«
Scholz fiel keine schlagfertige Antwort ein. Es kochte noch immer in ihm. Der Radfahrer hatte Erinnerungen geweckt: ein totes Kind – es war exakt drei Jahre, fünf Monate und einen Tag her.
Ein kleines Mädchen war ihm vor die Kühlerhaube gefahren. Blut aus Ohren und Nase, Bewusstlosigkeit beim Eintreffen im Krankenhaus. Hirntrauma. Eintritt des Todes fünf Stunden später.
In seinen Träumen durchlebte Scholz die Stunden in der Klinik immer wieder. Er schlief schlecht und war häufig so gereizt, dass seine Frau schließlich auszog und die Kollegen einen Bogen um ihn machten – vermutlich war er deshalb sofort zur Zielscheibe geworden, als man wegen des geplatzten Prozesses gegen Koksbaron Böhr einen Sündenbock gesucht hatte.
Scholz spielte mit seinem Ring.
Bettina trug ihn vermutlich schon lange nicht mehr.
7.
Simone streifte ihren rechten Pumps ab und knallte das rote Ding auf die Tischplatte. Die Teilnehmer der Verwaltungskonferenz zuckten zusammen.
Letzter Punkt der Tagesordnung: »Scheißkopfsteinpflaster! Heute Morgen bin ich schon wieder hängen geblieben und hätte mir um ein Haar den Fuß gebrochen!«
»Wir haben erst kürzlich den gesamten Platz neu verfugt«, beteuerte der Verkehrsdezernent, knetete seine Krawatte und blickte sich Hilfe suchend um.
Angespannte Stille in der Runde, die jeden Freitagmorgen zusammentrat, um die Geschicke der Stadt zu besprechen. Zum ersten Mal leitete Simone die Sitzung. Sie genoss das Gefühl, dass die Beigeordneten und Amtsleiter vor ihr kuschten. Sogar in Abwesenheit des Oberbürgermeisters.
»Ich werde das prüfen lassen«, lenkte der Kerl mit der knittrigen Krawatte ein. »Wo die Fugen zu tief sind, wird selbstverständlich nachgebessert.«
Na, geht doch, dachte Simone. Am liebsten hätte sie den Marktplatz vor dem Rathaus asphaltieren lassen. Leider ließ sich der Denkmalschutz nicht so einfach aushebeln.
»Haben wir keine wichtigeren Themen?«, fragte Lohmeier, der Kulturdezernent, ein junger Schnösel im mausgrauen Anzug.
Die Runde hielt erneut den Atem an.
»Wichtiger als die Gesundheit der Düsseldorferinnen?«, erwiderte Simone, schlug ihr Notizbuch auf und stenografierte ein Memo. Bei Gelegenheit würde sie den Mann zurechtstutzen.
Ihr Blick streifte Astrid Cornelius, die Finanzdezernentin, die nicht die Größte war und ebenfalls gern hochhackige Schuhe trug. Die Geschlechtsgenossin schwieg. Simone stellte fest, dass sie die Finanzdezernentin nicht leiden konnte. Diese unmögliche Bluse mit dem Zebramuster. Diese aufgeschwemmte Visage. Am Kinn ein behaarter Leberfleck.
»Herr Lohmeier«, beschwichtigte Pröll, der Leiter des Amts für Kommunikation, »Sie mit Ihren Budapestern haben gut reden. Würden Sie schicke Stilettos tragen wie Frau Beck, hätten Sie diese ärgerliche Gefahrenquelle ebenfalls längst
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