Königsallee
Königsallee.«
Simone schloss die Augen und wünschte sich weit weg.
10.
Hennerkamm tobte: »Gegen wen wir ermitteln, entscheidest nicht du, Reuter!«
Alles an dem Kommissariatsleiter war dünn und lang: die Hände, die er auf den Tisch stützte, die blasse Hakennase, die sich zu Reuter herunterbeugte. Die ganze Gestalt, die manchmal linkisch wirkte und der man die tiefe, kräftige Stimme nicht zutraute. Reuters Chef pochte auf die Akten, die er mitgebracht hatte – drei, vier dünne Mappen aus hellgrauem Karton.
»Hier spielt die Musik!«
Lustlos schlug Reuter die oberste Pappe auf. Das Deckblatt sah aus, als hätten es die Kollegen aus dem KK 24 angelegt – dort saßen fünf ältere Kollegen, die für Analyse und Auswertung zuständig waren und sämtliche Vorkommnisse nach Hinweisen sortierten, die möglicherweise OK-relevant waren.
»Eure Ermittlungen haben nichts gebracht, so etwas kommt vor. Man muss sich das nur auch mal eingestehen können«, ergänzte Hennerkamm.
Reuter blickte sich nach Unterstützung um. Kollege Koch kauerte auf dem Heizkörper und kaute Fingernägel – ganz der zaghafte Exvopo aus der Ostzone.
Hennerkamm beugte sich noch tiefer herab. Ein bohrender Blick. »Westhoff wünscht übrigens, dass die Akten zur Kunstraubsache vernichtet werden. Datenschutz. Und du hältst dich dran.«
»Soll er doch die Unterlagen selbst vernichten«, antwortete Reuter.
Hennerkamm stieß mit dem Zeigefinger nach ihm. »Dein Stern ist schwer am Sinken, Reuter! Wenn sich die Staatsanwaltschaft noch ein einziges Mal beschwert, wird’s finster für dich, ganz finster!«
Damit rauschte er aus dem Zimmer.
Koch seufzte und rutschte vom Heizkörper. »So habe ich den Broiler lange nicht mehr erlebt.«
»Du hättest auch mal den Mund aufmachen können, Michael.«
»Mir reicht’s, wenn dein Stern sinkt. Meiner darf noch etwas blinken.«
»Hast du erfahren, wer Böhrs Firmen übernommen hat?«
»Ein Unternehmensberater namens Lohmar, Kanzlei an der Kö. Ihm gehören jetzt die Diskos, das Wachschutzunternehmen und das Fitnesscenter. Sogar das Goldene Einhorn hat Böhr versilbert.«
»Um seine Eltern auslösen zu können. Falls die Entführungsgeschichte stimmt.«
Reuter blätterte in den grauen Akten, die Hennerkamm zurückgelassen hatte. Vermutlich als Beschäftigungstherapie.
Die erste Mappe: seitenweise Notizen über nigerianische Kleindealer, die der Einsatztrupp der Polizeiinspektion Mitte in den letzten Wochen beobachtet hatte. Einige Festnahmen ohne Ergebnis, weil die Schwarzen ihre Bubbles verschluckt hatten und die Düsseldorfer Ärzteschaft sich weigerte, Brechmittel zu verabreichen. In einem Fall hatten die Kollegen im richtigen Moment zugegriffen und der Junkie hatte den Verkäufer belastet. Das für Rauschgiftdelikte zuständige KK 34 hatte die Sache bereits auf dem Tisch.
Kleinkram – Reuter sah nicht ein, warum er ebenfalls seine Zeit damit verplempern sollte. Ein Blick in die zweite Mappe: Stoff vom gleichen Kaliber.
Reuter schob den Stapel beiseite und knöpfte sich stattdessen die Protokolle der abgehörten Telefonate Böhrs vor. Die wichtigsten Stellen waren angestrichen.
Böhr wollte tatsächlich Bauer werden: Ein steiniger Acker. Im Herbst ernte ich die ersten Oliven. Die Ölmühle besteht aus Steinrädern. Alles öko, pur Natur, keine Party weit und breit. Halte ich das aus?
Von seinen Eltern und den Kolumbianern war nicht die Rede. Vermutlich ahnte Böhr, dass er nach wie vor abgehört wurde. Möglich, dass der Kerl ihnen nur etwas vormachte.
Das wird mir guttun nach dem Stress der letzten Zeit. Casa Dolce Casa heißt die Fattoria. Ihr müsst mich mal besuchen.
»Hast du unseren Türsteher schon kontaktiert?«, fragte Reuter seinen Kollegen.
»Lass Einstein aus dem Spiel, Jan.«
»Wir müssen wissen, für wen dieser Lohmar den Strohmann macht.« »Nichts da. Wir halten uns an die Anweisung der Staatsanwaltschaft, okay?«
»Opportunist.«
»Realist.«
Reuter lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er dachte an Katja und daran, wie schön es wäre, einfach nach Hause zu fahren.
Voller Widerwillen griff er nach der dritten Mappe, die sein Chef zurückgelassen hatte. Noch ein Bericht, den die Auswerter vom KK 24 weitergeleitet hatten: Einem Kollegen der Kriminalwache war nachts in der Innenstadt ein dicker Schlitten aufgefallen. Ein Achtzylinder der S-Klasse, aufgemotzt durch die schwäbische Tuningschmiede AMG. Darin zwei Typen, die offenbar etwas zu besprechen
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