Königsallee
Einbrecher hatten alles mitgehen lassen.
Er trat auf den Balkon. Der Wohnungsinhaber hatte ihn als Zwischenlager für Müll verwendet. Aber die Tüten waren ordentlich gestapelt, keine davon aufgerissen.
Reuter überlegte: Nur in der Küche war die Unordnung so groß wie im Flur. Also hatten die Einbrecher dort gefunden, was sie gesucht hatten.
Sie nahmen sich noch einmal den kleinen Raum vor. Auf dem Herd leere Behälter aus transparentem Kunststoff. Klebeetiketten: Salz, Zucker, Mehl. In der Spüle ein weißer Haufen, an den Rändern vom Wasser aufgelöst. Reuter fuhr mit dem Finger in das weiße Zeug und leckte ihn ab. Zucker.
Er fasste in den Haufen und förderte Scheine zutage. Einen Zehner, mehrere Fünfziger.
Reuter stellte fest: »Wer auch immer hier war – er hatte es nicht auf das Geld abgesehen. Marthau hat früher mit Koks gedealt. Vielleicht auch bis zum Schluss.«
Schritte auf der Treppe, ein Klopfen an der Tür. Reuter fuhr herum. Zwei Beamte der Spurensicherung.
Wegmann schlug vor: »Die Befragung der Nachbarn sollen die Kollegen der Kriminalwache übernehmen.«
21.
Reuter ließ sich von Wegmann vor der Festung absetzen und ging nach Hause. Er wohnte nah – keine dreihundert Meter von seinem Arbeitsplatz entfernt. Die Fenster im zweiten Stock des Eckhauses waren dunkel – sicher schlief Katja längst.
Henrike Andermatt ging ihm nicht aus dem Kopf.
Reuter holte seinen Micra aus der Kellergarage, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es Unsinn war, was er da tat.
Er wählte die Route durch den Rheinufertunnel, bog hinter dem Glasturm der Victoria-Verwaltung ab, durchquerte Pempelfort und erreichte die Münsterstraße, die ihn in nordöstlicher Richtung am ARAG-Hochhaus vorbei nach Rath brachte. Die Arbeitersiedlungen jenseits der S-Bahn wichen bald den besseren Häusern der Vorarbeiter und Angestellten, bis die Bebauung auflockerte: Villen am Rand des Stadtwalds, einst für die Fabrikdirektoren errichtet.
Das Haus der Andermatts war ein zweigeschossiger Bau im klassizistischen Stil. Vergitterte Fenster im Erdgeschoss, über dem Eingang ein Zierbalkon mit steinerner Balustrade. Zu Kegeln gestutzte Buchsbäume standen davor Spalier. Selbst im Dunkeln wirkte der Vorgarten musterhaft gepflegt.
Von Edgars Jaguar nichts zu sehen, weder am Straßenrand noch in der Zufahrt. Vermutlich war die Familie inzwischen unter sich. Reuter fuhr ein Stück weiter, bis er einen Blick auf den Garten hinter der Villa erhaschen konnte. Licht fiel auf den Rasen – die Andermatts waren noch auf.
Reuter wendete und stoppte den Wagen an der dunkelsten Stelle zwischen zwei Straßenlampen.
Die Versuchung war groß, über den Zaun zu steigen und an einem der rückwärtigen Fenster zu lauschen. Aber es konnte Hunde geben, Alarmanlagen – zu riskant.
Reuter blieb sitzen und dachte über Ungereimtheiten nach: dreißig Minuten bis zum Auftauchen der Richtertochter im Präsidium. Ihre verquere Aussage – als hätte Robby ernsthaft eine vermummte Person nach dem Weg gefragt.
Ein Auto bog von der Reichswaldallee ab und näherte sich. Bevor es das Anwesen erreichte, hielt es an und das Licht wurde gelöscht. Keiner stieg aus.
Noch jemand, der die Andermatts observierte. Reuters Herz schlug schneller. Er tastete unter sein Jackett und vergewisserte sich, dass seine Waffe im Holster saß. Er schloss die Hand um den Griff, sein Puls beruhigte sich nicht.
Das Nummernschild des anderen war nicht zu entziffern. Er hatte sich ebenfalls eine dunkle Stelle gesucht. Reuter versuchte, den Fahrzeugtyp zu erraten. Chrom schimmerte an der Front. Vielleicht ein BMW, aber die Silhouette war nicht die einer großen Limousine.
Er fragte sich, ob er hingehen sollte.
Plötzlich flammten am Haus Scheinwerfer auf. Zuerst glaubte Reuter, das Licht gelte ihm. Dann erkannte er, dass eine Person herausgekommen war und einen Bewegungsmelder ausgelöst hatte. Die Eingangstür knallte ins Schloss. Eine Batterie von Strahlern erhellte von der Balustrade des Balkons aus den Vorgarten. Es war eine Frau, die eine Sporttasche schleppte und die Straße erreichte.
Reuter erkannte sie und kurbelte die Scheibe herunter.
»Henrike!«
Er startete den Motor. Zugleich röhrte auch das andere Auto los. Ein niedriger Sportwagen – im Rückwärtsgang und unbeleuchtet entfernte er sich, ohne dass Reuter das Kennzeichen hätte entziffern können.
Er rief noch einmal: »Lena!«
Die Richtertochter sah sich um, dann setzte sie ihren Weg fort. Sie trug schwer
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