Königsallee
eigenes Leben. Lass mich los.«
»Dein Leben – nächtliche Spritztouren mit Kriminellen aus der Türsteherszene? Fickpartys, bei denen du dich zur Nutte machst?«
»Du verstehst gar nichts. So ein Spießer wie du traut sich doch sein Leben lang nicht, seine Fantasien auszuleben.«
Reuter hielt Lena ihre eigene Hand unter die Nase. Die frisch vernarbte Verletzung. Sie versuchte, sich loszureißen. Er fasste fester zu und schob ihren Ärmel zurück. Weitere Narben, die von Schnittverletzungen herrührten.
»Hat da auch jemand seine Fantasien ausgelebt?«
»Lass mich los, verdammt, du tust mir weh!«
»Lena, jemand ist hinter dir her. Bei deinen Eltern wärst du sicherer untergebracht.«
»Das sind nicht mehr meine Eltern!«
Er gab ihre Hand frei. Die Richtertochter griff nach ihrer Tasche und stieg aus.
Reuter sah zu, wie sie am nächsten Hauseingang klingelte. Es war der oberste Knopf.
Im Rückspiegel schob sich ein Auto langsam heran. Ein kleiner BMW, der mit einigem Abstand anhielt.
Reuter tastete wieder nach seiner Waffe. Sein Blick ging zwischen Lena und dem Rückspiegel hin und her.
Sie klingelte noch einmal und schaute kurz herüber, als wolle sie sich versichern, dass ihre Mitfahrgelegenheit noch bereitstand. Dann trat sie auf die Straße und spähte zur Dachwohnung hoch.
Reuter starrte in den Rückspiegel, die Hand fest am Pistolengriff. Niemand rührte sich in dem Wagen hinter ihm.
Der Summer tönte, Reuter konnte ihn hören. Als das Mädchen im Haus verschwunden war, stieg er aus. Kein Klingelschild sah aus wie das andere. Gedruckte Namen, Handschriftliches, manche Zettel mehrfach überklebt, das meiste klang türkisch. Ganz oben: Juli Winters.
Sieh an: Robbys Freundin.
Ein Motor röhrte, Reifen rumpelten. Als Reuter sich umwandte, verschwand der BMW um die Ecke.
Auf der Heimfahrt dachte Reuter über die Richtertochter nach und darüber, wie er sie zum Reden bringen könnte. Was sie über das Ausleben von Fantasien gesagt hatte, beschäftigte ihn ebenfalls.
Hast du schon mal beim Autofahren einen geblasen bekommen?
Kollege Koch hätte die Hand nicht weggeschoben, dachte Reuter. Ihm fiel Katja ein. Zwei Kondome im Gepäck – wehe, wenn sie ihn betrog. Dann hatte er gerade die Gelegenheit zur Revanche verpasst.
Reuter kontrollierte den Rückspiegel – kein Verfolger mehr. Trotzdem schlug er Haken, bis er ganz sicher war.
Der BMW sagte ihm, dass er auf der Hut sein musste.
22.
Simone wälzte sich in ihrem Bett. Die grünen Leuchtziffern ihres Weckers standen auf zwei Uhr. Der Vollmond hatte sie geweckt. Und der Gedanke an Lohmar ließ sie nicht wieder einschlafen.
Sie musste den smarten Herrn auf Abstand halten. Ein angenehmer Kunde in Hamburg – hier ein gewaltiger Unsicherheitsfaktor.
Simone stand auf und goss sich im Dunkel ihrer Wohnküche ein Glas von dem Cabernet ein, den sie noch kurz vor Ladenschluss im Supermarkt gekauft hatte. Nicht gerade ein Edeltropfen. Sie nahm sich vor, morgen zu dem kleinen Weinladen zu gehen, den sie unlängst in ihrem Viertel entdeckt hatte – sie brauchte dringend Bordeaux-Nachschub.
Draußen schimmerte das Wasser des Rheins. Die Wolken hatten sich verzogen. Der Mond hing über der Düsseldorfer Altstadtsilhouette. Simone war stolz auf den Ausblick in der ersten Reihe des Oberkasseler Ufers. Ein Großteil ihres Gehalts ging für die Miete drauf.
Ihr wurde kühl. Sie streifte ihren Morgenmantel über. Ihre Tage waren überfällig. Doch schwanger war sie auf keinen Fall. Simone überlegte, wann sie zuletzt mit einem Mann geschlafen hatte: seit ihrem Umzug ins Rheinland nur einmal – lange her und nicht der Rede wert.
Ein größerer Schluck. Du kannst nichts planen, sagte sie sich. Es kommt immer anders. Zumindest in ihrem Leben – eine Kette von Versuchen, aus denen bislang nicht viel geworden war. In Düsseldorf hatte sie gehofft, Wurzeln schlagen zu können. Bis gestern hatte es ganz danach ausgesehen.
Irgendwie hatte Lohmar ihre Nummer herausgefunden, obwohl sie nicht im Telefonbuch stand – jemand in der Stadtverwaltung hatte offenbar geplaudert. Simone hätte am liebsten sofort aufgelegt, als sie am Abend seine Stimme erkannte. Aber der Unternehmensberater hatte nur über seinen Russen geredet und über die Baupolitik der Stadt.
Großartige Idee, Frau Beck, das mit der Investition am Rheinhafen! Karpow ist gleich angesprungen. Jetzt müssen wir nur noch Ihren Chef überzeugen.
Ich muss gar nichts, dachte Simone.
Das Stadtoberhaupt
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