Königsallee
an der großen Tasche. Der Schulterriemen war zu lang, das Ding schlug gegen ihr Bein. Sie eilte auf die Kreuzung zu. Reuter ließ den Micra neben der jungen Frau herrollen.
»Verpiss dich!«, rief sie, ohne anzuhalten.
Weit und breit gab es keinen Taxistand.
»Hey, steig ein! Du solltest nachts nicht allein umherlaufen. Robbys Mörder könnte es auch auf dich abgesehen haben!«
»Der Einzige, der mir auflauert, bist du«, schnaubte sie wütend.
Reuter wich einem Geländewagen aus, der am Straßenrand parkte. Das Mädchen hastete weiter. Er blieb dran. »Sei vernünftig, Henrike. Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.«
Die junge Frau blieb stehen. Außer Atem musterte sie den japanischen Kleinwagen. Schließlich überquerte sie die Straße. Reuter half ihr, die Tasche auf dem Rücksitz zu verstauen.
Sie sagte: »Aber glaub bloß nicht, dass du mich ohne meinen Anwalt zu einer Aussage überreden kannst. Ihr wollt bloß einen raschen Erfolg verbuchen und mich zur Mörderin abstempeln. Mein Anwalt hat mich gewarnt, ich fall nicht auf euch rein!« Sie zitterte – noch immer stand sie unter Schock, kein Wunder.
»Wohin?«
»Oberbilk. Kennst du die Vulkanstraße?«
Rund sieben Kilometer Fahrt, schätzte Reuter und gab Gas. Zu Fuß hätte sie mit dem Gepäck locker zwei Stunden gebraucht.
»Niemand hält dich für die Mörderin. Aber du verschweigst uns was, Henrike.«
»Ich heiße Lena.«
»Okay, Lena.«
Reuter warf immer wieder prüfende Blicke in den Rückspiegel. Lichter folgten ihnen, aber er konnte nicht erkennen, ob es stets die gleichen waren. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn es sich das Mädchen anders überlegt hätte. Im Haus der Eltern war es seiner Meinung nach am besten aufgehoben.
»Was willst du in der Vulkanstraße? Keine gute Gegend.«
»Ich übernachte bei einer Freundin.«
»Warum nicht bei dir?«
»Geht dich einen Scheißdreck an.«
Reuter fuhr südwärts. Henrike kaute auf einer Haarsträhne und presste sich gegen die Beifahrertür, als wollte sie möglichst großen Abstand halten.
»Der Ausbruch der jugendlichen Rebellin aus dem bürgerlichen Elternhaus – ist es das, was dich treibt?«
»Was soll das? Bist du Hobbypsychologe? Oder so ein Idiot, der sich einbildet, dass er mich beschützen muss?«
»Diese Partys – wissen deine Eltern von deinem Doppelleben?«
»Denen bin ich im Grunde scheißegal. Den beiden geht es doch nur um das Image des künftigen Innenministers.«
»Du schadest dir selbst. Du lockst schräge Vögel an. Dir entgleitet die Kontrolle.«
»Was hat das mit Robby zu tun?«
»Du solltest auf jeden Fall besser auf dich aufpassen.«
»Ich will lieber etwas tun und es meinetwegen hinterher bereuen, als lebenslang das Gefühl mit mir herumtragen, ich hätte etwas verpasst.«
»Fakt ist, dass dein Begleiter tot ist. Was wolltet ihr wirklich im Hafen? Warum bist du nicht sofort zu uns gekommen?«
Sie schwieg.
Er sah in ihr Gesicht. Müde und abgekämpft. Als sie seinen Blick erwiderte, legte sich ein spöttischer Zug um ihren Mund, der zu sagen schien: Mir macht keiner etwas vor.
Reuter fuhr schneller. Er fand in der Seitenablage Kaugummis und bot sie Lena an. Das Mädchen lehnte ab. Sie jagten die Brehmstraße entlang, als er plötzlich ihre Hand zwischen seinen Beinen spürte.
»Schon mal beim Autofahren einen geblasen bekommen?«
Er fragte sich, wie weit sie gehen würde. Wie weit er gehen wollte.
Sie machte sich an seinem Reißverschluss zu schaffen.
»Kein Bedarf«, sagte er.
»Lügner. Ich spür doch, dass dir das gefällt.«
Er riss sich zusammen und schob ihre Finger weg. Dabei fiel ihm eine frische Narbe auf. Rund und rot glänzend, auf dem Rücken ihrer linken Hand.
Die Richtertochter verschränkte die Arme. Er schloss die Hose. Sie erreichten den Oberbilker Markt.
Reuter versuchte, sich zu erinnern, wo die Straße genau war, die Henrike genannt hatte. Ihm gefiel der Gedanke nicht, die junge Frau irgendwo abzuliefern, wo er nicht auf sie aufpassen konnte.
Sie kurvten durch das Viertel hinter dem Bahnhof. Arabische Läden, heruntergekommene Kneipen, ein Penner-Kiosk. Gleich um die Ecke Düsseldorfs größter Puff. Und ständig das Rumpeln der Züge. Entlang des Bahndamms verlief die Vulkanstraße. Hier wohnt keiner freiwillig, dachte Reuter.
Henrike alias Lena löste den Gurt. Reuter stoppte in zweiter Reihe. Sie wollte aussteigen. Er packte ihren Arm.
»Soll ich dich nicht besser zurück nach Hause bringen?«
»Ich führe mein
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