Königsallee
hatte seinen Standpunkt klargemacht. Die Russen durften dem Fußballclub spenden, aber sie spielten nicht in der Champions League der seriösen Investoren, die für das Hafen-Congress-Centrum infrage kamen.
Simone schenkte sich Rotwein nach. Ihr fiel auf, wie leer die Wände ihrer Wohnung noch waren. Der nicht ausgepackte Karton in ihrem Schlafzimmer – sie ging hinüber und zog ihn unter dem Bett hervor. Staubflocken und gerahmte Fotos, mit denen sie in Hamburg in einsamen Stunden Zwiesprache gehalten hatte. Leute aus ihrer Vergangenheit und abgebrochene Brücken.
Der Anblick ihrer Eltern bewegte sie. Die alten Leutchen hatten es nie verwunden, dass sie ihr Studium in Düsseldorf geschmissen hatte und einem Kerl, den sie kaum kannte, an die Elbe gefolgt war.
Ihr Vater: gestorben.
Die Mutter: Heiminsassin in Ratingen. Arztrechnungen und Ärger mit dem Sozialamt der Nachbarstadt hielten Simone auf Trab. Die wöchentlichen Besuche und das Leuchten im Gesicht der Mutter, wenn sie ihre Tochter erkannte, gaben Simone jedes Mal einen Stich ins Herz.
Sie schob die Fotos zurück, ganz weit nach hinten. Für die leeren Wände würde sie eine bessere Lösung finden. Ein schönes Poster, einen Kunstkalender vielleicht. In Hamburg hätte sie gewusst, wo sie danach stöbern konnte. Hier hatte sie sich vor lauter Arbeit noch nicht eingelebt.
Simone knipste das Licht aus und kehrte zurück in die Küche. Der Cabernet schmeckte nicht einmal so übel. Sie goss den Rest ins Glas und blickte hinaus in die Nacht.
Ich will endlich Fuß fassen, dachte Simone. Nicht mehr davonlaufen. Mich durchbeißen, auch wenn ich hier kaum jemanden kenne.
Lohmars Drängen, trotz Krolls entschieden vorgetragenem Njet: Sagen Sie Dagobert, dass Karpow die Bauleitung in die Hände von Gisbert Valerius und seiner Düssel-Bau legen und das Investitionsvolumen kräftig nach oben korrigieren wird. Gisbert Valerius – jetzt wollte es Lohmar also über Krolls Cousin versuchen.
Valerius hatte die neue Fußballarena gebaut, die Flughafenerweiterung und ein Einkaufszentrum, für das sich Kroll mächtig ins Zeug gelegt hatte. Auch die Investoren aus Toronto hätten Düssel-Bau vermutlich zum Zug kommen lassen.
Das Investitionsvolumen nach oben korrigieren, das hieß eine Schippe drauflegen, die Gewinnspanne für den OB-Vetter erhöhen. Der Unternehmensberater und sein Russe wollten Valerius schmieren. Sie wollten Kroll schmieren.
Simone hoffte, dass ihr Chef dafür nicht zu haben war. Bei all seinen Macken und Eigenheiten – er war der Einzige, auf den sie bei ihrem Neuanfang bauen konnte. Dagobert Kroll hatte stets betont, wie sehr ihm das Wohl der Stadt und ihres Wirtschaftslebens am Herzen lag. Das konnte doch nicht bloße Blenderei gewesen sein.
Sie müssen das unbedingt einfädeln.
Ich muss gar nichts – oder glaubt Lohmar, er hat mich in der Hand? Sie hatte in Hamburg mit ihm geschlafen, na und? Aus ihrer Arbeit für die Gräfin ließ sich kein Strick drehen. Das Institut besaß einen tadellosen Ruf. Den Mädchen waren strenge Regeln auferlegt: keine Zweideutigkeiten im Umgang mit den Kunden, keine Bettgeschichten. Wer sich nicht daran hielt, flog.
Das war es, fiel Simone ein: Sie war gefeuert worden. Lohmar brauchte nur mit der Gräfin zu reden, um zu wissen, dass Simones Bettgeschichte mit ihm kein Einzelfall gewesen war. Sie leerte das Glas. Der Mond schien unbarmherzig in das Zimmer.
Dossiers, meine Liebe. So funktioniert Politik!
Sie brauchte dringend eines über Lohmar.
Samstag, 19. Mai, Blitz, Titelseite:
SENSATION: GERAUBTES MEISTERWERK
WIEDER DA!
Ein Jahr lang wurde verhandelt, gezockt und gezittert. Staranwalt Dr. Edgar Reuter (32) begab sich in die Höhle des Löwen und kam gestern als Sieger zurück: Er übergab dem glücklichen Direktor der Kunstsammlung NRW das Meisterwerk, das skrupellose Kunstdiebe vor zwei Jahren geraubt hatten und das von Fachwelt und Versicherung (Wert der Police: 10 Mio.) bereits abgeschrieben worden war. Die Nacht von Max Beckmann, ein Meilenstein der Kunst des 20. Jahrhunderts – dank des mutigen Anwalts haben wir das Werk zurück!
Samstag, 19. Mai, Morgenpost, Lokales:
HAFEN-CONGRESS-CENTRUM SETZT
NEUE MASSSTÄBE
Keine Atempause im Rathaus an diesem Wochenende: Bis zur letzten Stunde feilen die Planer um Stadtoberhaupt Dagobert Kroll an der Präsentation des Hafen-Congress-Centrums (HCC). Am Montag wird der Vorhang gelüftet. So viel steht schon fest: Es wird ein spannender,
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