Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
werden und den Krieg nicht überleben würde, wenn er es nicht sofort verstand, seine Gedanken und Gefühle wie einen Mechanismus abzuschalten. Alles, was um ihn war, Tod, Kampf, Kälte, Schmerz, sollte von nun ab außen vor bleiben, durfte nicht mehr bis in seine Seele, in sein Bewusstsein dringen!
2. Kapitel
H EIMATURLAUB
›Meine Liebste!
Entschuldige das fürchterliche Gekritzel, aber ich schreibe dir heute mit links aus dem Lazarett in Smolensk. Meine rechte Hand ist vorgestern operiert worden, und man hat mir den Mittel- und Ringfinger amputiert. Trotz Fieber und scheußlicher Schmerzen bin ich mir ganz dessen bewusst, welch großes Glück es war, aus einer nicht mehr steuerbaren, abstürzenden Maschine heil entkommen zu sein! Ich schwöre es Dir: Im Moment der Gefahr war meine einziger Gedanke, meine einzige Sorge, Dich, mein Herz, nie mehr wiederzusehen! Nur der Gedanke an Dich hält mich aufrecht, tröstet mich; sofern man von Trost sprechen kann – denn um mich herum gibt es nur ein einziges Stöhnen und Klagen, Tod und immer neuen Schrecken. Gestern, in den späten Abendstunden, als ein Lazarettzug am Bahnhof von Smolensk gerade abfahrbereit war, griff ein russischer Bomber den Bahnhof an und warf seine Bombenlast genau über dem Zug mit dem Rot-Kreuz-Zeichen ab, ein Signal, das ihn eigentlich schützen sollte! Wie ist so etwas möglich, wie kann so etwas geschehen? Dieser Krieg wird immer grausamer und unmenschlicher! Um ein Haar wäre auch ich in diesem Zug gewesen – doch es gab dringendere Fälle, und so sollte ich erst in den nächsten Tagen abtransportiert werden. Das hat mir wieder einmal das Leben gerettet! Doch das entsetzliche Chaos unter den Verwundeten nach dem Angriff werde ich wohl nie mehr vergessen. Die ganze Nacht hatten die Ärzte im Lazarett zu tun, um die Todkranken zu versorgen. Direkt neben mir lag ein Siebzehnjähriger, der mit immer schwächer werdender Stimme nach seiner Mutter rief – ich habe versucht, ihn zu beruhigen, und hielt seine Hand, bis er starb …‹
Paul ließ seinen verkrampften linken Arm sinken, die Anstrengung hatte ihn ermüdet. Sollte er Magdalena überhaupt von Leid und Verwundung schreiben? Er bewegte die geschwollenen, restlichen Finger der rechten Hand, nahm den Stift und fuhr dann krakeliger als zuvor fort.
›Sobald ich gesund bin, bekomme ich Erholungsurlaub in der Heimat. Ich kann es gar nicht erwarten, Dich endlich wieder in meinen Armen zu halten! Ich küsse Dich zärtlich Dein Paul‹
Ein neuer, ebenfalls überfüllter Lazarettzug nahm wenige Tage später Paul auf und brachte ihn mit vielen anderen Kranken mit einigen Unterbrechungen sicher nach Westen in ein Lazarett. Ein verborgener Splitter komplizierte die Heilung der Hand und erst nach zwei weiteren Nachoperationen traf er im Frühling endlich in Königsberg ein. In der Stadt merkte man im Übrigen nicht allzu viel von den Unruhen des Krieges; da sie ein wenig außerhalb des Brennpunkts lag, hatte sich das Leben dort bisher nicht allzu sehr verändert.
Als er sich im Spiegel betrachtete, bekam er zunächst einmal einen Schrecken. Dieser bleiche, abgemagerte Bursche mit dem verlausten Haarschopf und der verbundenen Hand hatte wirklich wenig gemeinsam mit dem blonden muskulösen Mädchenschwarm, der er zuvor gewesen war. So konnte er Magdalena auf keinen Fall unter die Augen treten!
Nachdem er sich einige Tage ausgeruht, sein Äußeres hergerichtetund sich mit guter Kost entsprechend von seiner Mutter hatte pflegen lassen, passte er Magdalena vor der Albertina-Universität ab.
Sie errötete vor Freude, als sie ihn sah. Aber erst an ihrem heimlichen Treffpunkt am Oberteich konnte er sie dann endlich in die Arme schließen. »Magdalena!« Die Seligkeit, die er empfand, entschädigte ihn für alles, was er inzwischen erlebt hatte. Nach dem ersten, kaum enden wollenden Kuss hielt er sie ein Stück von sich weg, um sich endlich an ihrem süßen Gesichtchen, von dem er all die einsamen Stunden auf der harten Feldpritsche geträumt hatte, satt zu sehen. Doch ihre sanften braunen Augen schienen ihm verschattet und um ihren Mund entdeckte er einen bitteren Zug. Liebte sie ihn vielleicht nicht mehr?
»Was ist? Was hast du?«, fragte er mit leisem Erschrecken.
»Ach …« Statt einer Antwort seufzte Magdalena und senkte den Kopf. Tränen schossen ihr in die Augen und strömten langsam über ihr Gesicht. »Lutz, mein Bruder – er ist gefallen! Ich wollte es dir nicht schreiben – es ist so
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