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Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Titel: Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Berger
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jeder hatte genug mit sich selbst zu tun, und die Alten waren selbst krank und geschwächt vor Hunger und Kälte. Als sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte, fand sich endlich ein junger Bursche namens Fred, kräftig und groß gewachsen, der sich zutraute, den Wagen zu kutschieren.
    Magdalena fiel auf die Rückbank und zog die Plane über sich. Vor ihren Augen tanzten bunte Sterne. Ihre Zähne klapperten trotz des Pelzes vor Kälte und Fieber, das Schlucken tat höllisch weh, und ihre raue Kehle fühlte sich an, wie von zackigen Eisenklammern eingefasst. Dazu der anfallsartige Husten, der in der Brust wie ein Messer schmerzte. Sie würde sterben, hier in der Kälte auf der Flucht vor den Russen, und man würde sie am Straßenrand liegen lassen, als reglose Masse, ein anonymer, zusammengekrümmter, erstarrter Körper. Der Schmerz branntein ihr, und sie sehnte sich nur noch nach Fühllosigkeit und Ruhe. Von Zeit zu Zeit fiel sie in einen kurzen, betäubungsartigen Schlaf, in dem Fieberfantasien sie vergessen ließen, wo sie sich überhaupt befand.
    Gertraud erschrak über ihr eingefallenes blasses Gesicht, als sie beim nächsten Halt nach ihr sah. Ein stürmischer, eiskalter Wind wehte in Böen heran und drang jetzt in jede Ritze der Kleidung, durch den Pelz und sogar durch die Planen auf dem Wagen. Wie ein Blitz durchzuckte sie der erschreckende Gedanke: Wenn Magdalena starb – dann stand sie mit allen Schwierigkeiten allein da! Panik bemächtigte sich ihrer. Sie brauchte Medizin – doch wo sollte sie die hernehmen? Undeutlich entsann sie sich der alten Geschichten des Großvaters von einem lebensrettenden Hausmittel, das er als Soldat im Ersten Weltkrieg angeblich selbst ausprobiert hatte. Der eigene Urin, ganz frisch und noch warm, sollte wahre Wunder bewirken. Nicht nur bei schlecht heilenden Wunden, sondern auch, wenn man bei eitrigen Halsentzündungen damit gurgelte. Als Kinder hatten sie sich bei diesen Berichten immer vor Ekel geschüttelt und gelacht, während Großmama Louise sich indigniert zur Seite wandte und die Augenbrauen hochzog. Scheußlich – aber bestimmt war auch damals nichts Besseres zur Verfügung gestanden. Vielleicht konnte es im Notfall ja auch hier helfen! Man musste es einfach ausprobieren! Aber wie konnte sie Magdalena, die so apathisch und leidend dalag, davon überzeugen, mit ihrem eigenen Urin zu gurgeln?
    »Lena!« Sie rüttelte die Schwester, die kaum reagierte, an der Schulter. »Lena, wach auf! Du darfst nicht einschlafen, sonst wirst du sterben!« Die Schwester öffnete die Augen nur einen Spalt, bevor sie sie wieder schloss. Sie war so erschöpft, zu Tode ermüdet.
    »Hör mir zu!« Gertraud versuchte mit all ihren Kräften, ihren Kopf und Oberkörper anzuheben. »Du hast eine schwere Halsentzündung.
    Deine Mandeln sind bestimmt vereitert. Erinnerst du dich an Großvaters Geschichte, über die wir immer gelacht haben? Er hat mit Urin gegurgelt, seinem eigenen, als er krank war und keine Medikamente hatte. Das hat ihm geholfen. Das solltest du auch jetzt versuchen.«
    Magdalena schüttelte schwach den Kopf. »Unsinn. Das ist ein Märchen«, ächzte sie matt, »lass mich!«
    »Bitte, Lena, tu es! Du hast nichts zu verlieren. Es ist nur ein Hausmittel. Aber es könnte ja helfen. Schließlich haben wir nichts anderes. Bitte versuch es!«, flehte Gertraud weiter. »Du spuckst es ja wieder aus!« Sie ließ nicht nach, und Magdalena befolgte schließlich wie betäubt ihre Anweisungen, um endlich ihre Ruhe zu haben. Sie gurgelte mit der gelben Flüssigkeit und musste sich auf der Stelle übergeben. Erschöpft ließ sie sich auf den Strohsack zurücksinken und schloss wieder die Augen. Gertraud war zufrieden. Mehr konnte sie nicht tun. Lena hatte es versucht und sie würde es vielleicht morgen wieder tun. Man musste jetzt einfach abwarten.
    Fred, der fünfzehnjährige Bursche, machte seine Arbeit ausgezeichnet und man erkannte sofort, dass er etwas von Pferden verstand. Das Vorankommen erwies sich jedoch weiterhin als schwierig – immer neue Flüchtlinge bevölkerten den Treck. Dreimal am Tag gurgelte Magdalena nun würgend aus der Flasche mit dem gelblichen Inhalt, den Gertraud für sie abfüllte und ihr reichte. Es schien wie ein Wunder, aber tatsächlich ging es ihr nach einiger Zeit besser, die Schmerzen ließen nach, das Fieber sank, und die Eiterbläschen im Rachen bildeten sich zurück. Nur der hartnäckige hohle Husten blieb noch, der ihr die Brust zerriss und sie

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