Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
abladen. Weg mit allem Krimskrams. Das Eis muss tragen. Entscheiden Sie sich, ob Sie weiterfahren wollen. Vergessen Sie nicht: Es geht um Ihr Leben!«
»Krimskrams! Das ist eine Unverschämtheit!«, fauchte Gertraud wie eine wütende Katze, die ihre Krallen ausfährt. Doch der Soldat wandte sich gleichmütig zum nächsten Wagen. »Der Nächste vor! Alle schweren Sachen runter!«
Stimmen von hinten wurden laut: »Verfluchte Kettenhunde der Wehrmacht! Lasst uns doch das Wenige, das wir noch haben!«, brüllte ein Mann, der sich von seiner gesamten Kücheneinrichtung, Töpfen, Tellern und sogar einem kompletten Sofa trennen musste. Die Soldaten beeindruckten die Verzweiflung der Leute, die Beleidigungen wenig. Im Schnee lagen bald Möbel und alle möglichen Gegenstände verstreut, eine Kamera, ein Picknickkoffer, ein goldener Spiegel, lauter Dinge, die unentbehrlich schienen, es aber nicht waren.
Gertraud brach in Tränen aus und schluchzte vor sich hin. »Meine Erinnerungen, die Silberleuchter – die von Louise bestickten Stuhlbezüge … und Mutters Leinen!« Es fiel ihr schwer, sich von all dem zu trennen. Magdalena legte tröstend den Arm um die aufgebrachte Schwester, während sie mit der anderen Hand die Zügel hielt. Ab und zu sah sie erneut forschend zum Himmel, wie als wolle sie kontrollieren, ob keine dunkle Wolke seine grenzenlose Weite trübte. Nachdem ein großer Teil der überflüssigen Fracht ausgeladen war, schnaubte das Pferd aus und stakste tapfer, jedoch in verkrampfter Haltung und unsicheren Tritten vorwärts über den glucksenden, seltsame Töne von sich gebenden Untergrund. Je weiter sie sich zusammen mit den anderen auf die Eisfläche begaben, desto mehr nahmder unbewusste Druck auf Magdalenas Brust zu. Die Augen der Flüchtenden waren ängstlich auf die Spalten und unregelmäßigen Brüche, die wässrigen, dünnen Stellen und aufgetürmten Eisschollen geheftet, die man sorgsam umfahren musste. Und so rollte Wagen für Wagen auf das Eis, den schwankenden Boden, der bald unter den Rädern so trügerisch zerbrechen sollte wie die Hoffnung auf eine Zukunft in den Herzen der Menschen.
Der in weißen Nebel gehüllte, lange Zug der Flüchtlinge auf dem Eis hatte etwas Unwirkliches, geradezu Gespenstisches. Wenn man vom Knarren und Rollen der Räder absah, vom Malmen des Eises, war es still, sehr still. Niemand sprach ein überflüssiges Wort, ausgenommen beim Antreiben der Pferde, die unruhig waren und irgendetwas zu spüren schienen, das bisher noch unsichtbar war. Sie traten immer zögernder auf, scheuten manchmal vor den offenen Stellen im Eis. Aber es ging trotzdem unentwegt voran, und bald, sehr bald würde man auch diese heikle Strecke geschafft haben und wieder festen Boden erreichen.
Ein schwaches Surren ertönte plötzlich am Himmel, das sich rasch verstärkte. Aller Blicke wandten sich ängstlich nach oben. Es geschah das Unbegreifliche, das niemand von ihnen, auch nicht in den schlimmsten Vorstellungen, für möglich gehalten hatte. Russische Jagdflieger rasten aus dem Nichts mit hässlichem, immer lauter werdendem Dröhnen als gespenstische Todesengel heran. Mitleidslos warfen sie ihre Bombenlast ab und schossen mit ihren Bordkanonen auf die schutzlosen Flüchtlinge, die schreienden Frauen und Kinder, die sich nirgendwo in der weißen Hölle um sie herum in Sicherheit bringen konnten. Der Himmel spie plötzlich Feuer, klaffende Krater ließen Eissplitter und Wasserfontänen aufspritzen, der Boden tat sich auf, um ganze Wagenzüge zu verschlingen. Männer Frauen und Kinder mit ihrer gesamten Habe versanken in Minuten in den eisigen Fluten, wurden vor den Augen der anderen, vergeblichum Hilfe Schreienden in die gurgelnde Tiefe hinabgerissen. Magdalena war es, als spiele sich vor ihren Augen etwas Unwirkliches ab, etwas, das niemals und nirgendwo auf dieser Welt geschehen durfte!
Sie wussten später nicht mehr, wie sie die Katastrophe überstanden hatten. Vor ihnen, hinter ihnen zerbrach das Eis unter brüllendem Dröhnen, spritzte Gischt, klammerten sich Menschen mit aufgerissenen Mündern an herausragende Eisschollen, und ihre Todesschreie erstickte der wabernde Dampf des eiskalten Wassers, das sie in die Tiefe zog.
»Vorwärts!« Von einem automatischen Überlebenswillen gelenkt, trieb Magdalena mit der Peitsche das scheuende Pferd an den sprudelnden Wasserrinnen vorbei, in denen Wagen und Pferde vor ihren Augen verschwunden waren. »Vorwärts!«, schrie sie, während Gertraud im
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