Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Rückzug und versuchten, an einen sicheren Ort auszuweichen.
»Wo kommen die bloß alle her? Können wir nicht schneller fahren?«, jammerte Gertraud, die am ganzen Körper zitterte, als sie die Unmöglichkeit erkannte, zügig voranzukommen. »Vielleicht sollten wir übers Feld fahren – neue Wege suchen? Wenn die Russen uns einholen, werden sie uns alles rauben, was wir haben – sie nehmen uns vielleicht gefangen … «
Sie sah sich ständig um, als könne jeden Augenblick am Horizont die Rote Armee mit ihren Maschinenpistolen auftauchen.
»Das hättest du dir früher überlegen sollen!«, warf ihr Magdalena vor. »Ich wollte gleich nach Westen und wäre viel früher aufgebrochen. Und wie sollen wir übers Feld fahren – welche Wege einschlagen? Was machen wir, wenn wir in einem Loch oder knietief im Dreck stecken bleiben? Wenn die Achse bricht? Willst du sie dann selbst reparieren?«
Gertraud schüttelte den Kopf und zog frierend ihren Pelz enger um die Schultern. »Ich hab große Angst, Lena, dass wir den Russen in die Hände fallen. Dass sie den ganzen Treck zusammenschießen oder grausame Dinge mit uns anstellen. Du hast recht gehabt – ich hätte auf dich hören sollen!«
Magdalena antwortete nicht mehr. Es war sinnlos, sich die Klagen der Schwester anzuhören, die immer etwas auszusetzen hatte. Sie begriff einfach nichts! Nie hatten sie sich richtig verstanden, sie waren einfach zu verschieden. Doch in der Gefahr blieb ihnen nichts anderes übrig, als zusammenzuhalten. Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie sich fürchtete,und nicht zuzuhören, wenn Geschichten über Gräueltaten kursierten. Trotzdem – was würde der »Iwan« tatsächlich mit ihnen machen, wenn sie ihm in die Hände fielen? Stalin hatte Rache geschworen, für die Misshandlungen, die Demütigungen, die man seinen Brüdern zuteil werden ließ, kollektive Rache, die keine Gnade kannte.
»Mir ist so kalt – ich halte es nicht mehr aus. Über die Ostsee würden wir sicher viel schneller vorankommen«, nörgelte Gertraud weinerlich, als sich nach der Übernachtung in der Scheune eines Bauern die tapfere Stute nur mühsam durch den frisch gefallenen Schnee quälte. »Wir könnten doch versuchen, uns in Gotenhafen einzuschiffen.«
Magdalena nickte nur. Der hartnäckige Husten, verursacht durch den dichten Qualm in der schrecklichen Bombennacht, hatte sich durch die kalte Witterung verstärkt. Auch ihr Hals schmerzte beim Schlucken wie mit Nadeln durchstochen. Trotz Mütze, Pelz und Handschuhen wurde ihr nicht mehr warm bei dem eisigen Wind und dem Schnee, der nun in dichten Flocken fiel. Vielleicht hatte sie sogar Fieber, denn sie fühlte sich elend und matt. Mühsam versuchte sie, die Spur des vor ihr fahrenden Planwagens nicht aus den Augen zu verlieren. Die Landkarte, die sie bei sich trug, war nicht sehr hilfreich; sie hatten wenig Ahnung, wo sie sich genau befanden, und es kam ihnen manchmal so vor, als führen sie immer im Kreis herum.
»Ich kann nicht mehr!«, sagte sie schließlich mit heiserer Stimme und ließ das Pferd am Straßenrand halten. »Ich glaube, ich bin krank. Du musst mich auf dem Bock ablösen. Es fällt mir schwer, mich aufrechtzuhalten.«
Gertraud schrie auf. »Niemals! Du weißt, welche Angst ich immer vor Pferden habe!«
»Dann müssen wir eben hier stehen bleiben!«
»Es geht nicht«, wimmerte Gertraud leise, »ich schaffe es nicht.«
Die Flocken fielen in stetigen, lautlosen Wirbeln und bedeckten alles rasch mit einer weißen, duftigen Decke.
»Versuch es doch wenigstens«, sagte Magdalena erschöpft, wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und warf ihr die Zügel hin. »Es ist wirklich nicht schwer!«
Hysterisch schluchzend packte Gertraud schließlich die Zügel so ungeschickt, dass die Stute unruhig die Ohren anlegte, halb in Trab, halb in Galopp fiel und der Wagen kreuz und quer von einer Seite zur anderen schlingerte.
»Bist du verrückt! Du willst wohl, dass wir mit allem umkippen!« Magdalena schob sie ärgerlich beiseite. Sie versuchte, etwas Klarheit in ihren schmerzenden Kopf zu bekommen. Die nassen blonden Haare hingen ihr zu beiden Seiten ins Gesicht, und in ihren Ohren brauste und stach es. »Dann müssen wir eben herumfragen, ob irgendjemand uns hilft, einer, der was von Pferden versteht.«
Schwankend, mit zitternden Knien tastete sie sich von Wagen zu Wagen, sah in abgestumpfte, vom eisigen Wind wie eingefroren wirkende Gesichter und trug ihre Bitte vor. Doch
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