Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
hörte das Keuchen seines Atems immer näher kommen. Dann war er plötzlich über ihr, warf sie zu Boden, lag schwer auf ihr und versuchte, ihre Beine auseinanderzupressen. »Hilfe!«, schrie sie, »Hilfe!« Es war unmöglich, sich zu wehren, und sie war am Ende ihres Atems und ihrer Kraft. Wie zerschmettert blieb sie nach kurzem Aufbäumen reglos auf dem Bauch liegen. Der dumpfe Schlag, den sie hinter sich vernahm, mit dem knirschenden Geräusch wie von zerbrechenden Knochen kam überraschend. Das schwere Gewicht des über ihr liegenden Körpers rollte zur Seite. Sie rappelte sich vorsichtig und beinahe erstaunt auf. Der Russe lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Seine Schläfe war eingedrückt und ein breites Rinnsal Blut rann aus einer tiefen Platzwunde herab; strömte über sein Gesicht und seinen Nacken. Neben ihm stand Fred, den zackigen Stein noch in beiden Händen, so wie er ihn auf den Schädel des Russen hatte niedersausen lassen. Er war bleich, zitterte, und als er sah, was er angerichtet hatte, ließ er den Stein mit einem dumpfen Plumpsen zu Boden fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Magdalena legte in einem ersten Impuls den Arm um ihn, und sie standen sekundenlang reglos beieinander, ohne ein Wort zu sprechen.
»Danke«, flüsterte sie schließlich, »du hast mich gerettet! Du konntest nicht anders handeln.«
Fred nickte mit starrem Blick. In diesem Moment ließ die Lokomotive des Zuges am nahen Bahnhof gerade ein durchdringendes Pfeifen hören. Er schrak zusammen, wies mit der Hand hinüber. »Schnell!«, stieß er hervor. »Der fährt schon ab. Vielleicht schaffen wir es noch!«
Sie begannen beide gleichzeitig zu rennen, so schnell sie konnten. Er war voraus, und Magdalena stolperte mehr als sie lief, hinter ihm her. Ihre Lungen stachen, aber sie versuchte, das Tempo noch zu verdoppeln. Der Zug fuhr jetzt ganz langsam an, und der Abstand verminderte sich. Nun ging es um alles – sie musstedurchhalten und ihn einholen. Fred, mittlerweile weit voraus, hatte das Trittbrett erreicht, auf dem schon andere Personen an der noch halb offenen Tür standen, und schob sich gewaltsam hinein. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Komm!«, überschrie er, so laut er konnte, das Geräusch der Lokomotive. Nur einen Moment lang hatte sie Angst, das Trittbrett zu verfehlen und von den Rädern des Zuges zermalmt zu werden – dann sprang sie, ergriff die helfende Hand und klammerte sich gleichzeitig an einer Stange fest. Der Zug wurde schneller, der Fahrtwind heftiger, und sie fürchtete einen Augenblick abzurutschen. Ihre ganzen Kräfte noch einmal anspannend, zog sie sich hoch. Fred zerrte sie trotz lauten Protestes der dicht gedrängten Fahrgäste ins Innere. Sie rang nach Atem und glaubte zu ersticken. Ihre Brust krampfte sich zusammen, und sie spürte ihre Knie einknicken und die Beine unter ihr nachgeben.
Als sie wieder zu sich kam, sah sie in das besorgte Gesicht von Fred, der auf sie herabblickte. Er hatte sie im Gang auf den Boden gebettet und ihr seine Jacke als Polster untergelegt. Wie im Nebel nahm sie Beine der Leute um sie herum wahr. Sie atmete so mühsam und rasselnd, als beschwere ein Gewicht ihre Lungen. Das Husten tat weh, es klang bellend und seltsam hohl. Sie konnte nicht mehr – blieb einfach so liegen, auf Freds Jacke, zu Tode erschöpft und unfähig, sich zu erheben. Der Zug rüttelte monoton voran, sie schloss wieder die Augen und wurde fortgetragen in seltsame Träume, in denen Paul und sie auf der kleinen Jolle auf den Meereswellen schaukelten und er sie ansah, mit jenem bewundernden Blick, der sie von Anfang an gefangen genommen hatte und der mit dem Blau des Himmels über ihnen verschmolz. Nie würde sie diese grenzenlose Seligkeit, die sie damals erfüllt hatte, vergessen! Wenn sie jetzt starb, dann würde sie diesen einzigartigen Moment mit sich in die Ewigkeit nehmen und ihn dort für immer bewahren.
21. Kapitel
M EIN H ERZ WAR IMMER BEI DIR …
In der altgewohnten Schreibstube der Berliner Kaserne versuchte Paul, die trübsinnigen Gedanken der drohenden Kapitulation mit Listen und Zahlenreihen im Zaum zu halten. Man hatte bisher keine andere Verwendung für ihn gefunden, da der Stabsarzt bei seinem schlecht verheilten Arm bedenklich den Kopf geschüttelt und sich entschieden geweigert hatte, ihn erneut an die Front zu schicken. Er nahm es zur Kenntnis, denn irgendwie, irgendwann war sein Weltbild zusammengebrochen und ihm plötzlich alles gleichgültig
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