Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Krankenhaus mit neuem Mut.
Ihr erster Weg führte sie, noch etwas schwach auf den Beinen,zu dem kleinen Häuschen ein paar Kilometer von Berlin, das Frau Lindentals Bruder gehörte. Doch dieser konnte ihr nur die traurige Nachricht machen, dass die alte Dame vor zwei Monaten überraschend an einem unerkannten Herzleiden verstorben war. Mit Tränen in den Augen klagte er darüber, wie allein er sei und wie schwer es war, einen Haushalt in den schweren Zeiten aufrechtzuhalten.
»Aber wo ist mein Kind – wo ist Paula?«, fragte Magdalena verzweifelt.
»Weeß ick leider nich, liebe Dame!«, antwortete der alte Mann achselzuckend, der in Hosenträgern und strubbligem grauem Haar wohl die meiste Zeit vor dem Radioempfänger saß. »Da warn junger Mann – ick dachte, det is der Vater! Der hat die Kleene abjeholt.«
»Willi!«, rief Magdalena erleichtert aus. »Willi Schwarz?«
»Keene Ahnung! Da bin ick überfragt. Musste mich ja um die Beerdijung kümmern. Aber die Lore selig hat dat allet jenau uffgeschrieben. Wenichstens hat se det Jeld beiseite jelecht!«
»Ich danke Ihnen!«, Magdalena ergriff seine Hand. »Wo ist sie denn beerdigt? Ich werde ihr Grab besuchen!«
»Ostfriedhof, Sektion 5, Reihe 3«, teilte ihr der Bruder ungerührt mit. »Können se janich verfehlen.«
Der Tod der guten Frau Lindental betrübte und verwirrte Magdalena. Als sie sich von dem freundlichen Mann verabschiedete, erlitt sie in der Aufregung einen heftigen Hustenanfall, durch den sie in Atemnot geriet.
»Aber Meechen, wat haste denn? Setz dir noch ma – du fälls mir ja noch um!« Er drückte sie auf einen Stuhl und holte ein Glas Wasser. »Bist ja janz blass. Pass auf, ick nehm dir ein Stück mit in die Stadt. Muss sowieso wat erledijen!«
»Danke!« Magdalena trank durstig das Glas leer und atmete tief durch. »Das ist sehr nett von Ihnen. Ich war krank, wissen Sie? Die ganze Flucht- das hat mich ziemlich mitgenommen.Die Kälte in dem zugigen Fuhrwerk des Trecks! Meine Schwester konnte Gott sei Dank noch mit der ›Wilhelm Gustloff‹ abfahren. Aber in Stolp, wo wir uns am Bahnhof treffen wollten, haben wir uns dann verpasst. Die Russen waren bereits da. Seitdem habe ich keine Nachricht von ihr, und das macht mir große Sorge.«
»Was?«, der Mann sprach plötzlich hochdeutsch. »Die ›Wilhelm Gustloff‹? Wissen Sie denn nicht, dass die gesunken ist? Kam doch vor ein paar Wochen im Radio. Wurde von einem russischen U-Boot getroffen. Jing allet janz schnell. Aber et soll ja Überlebende geben …«
Magdalena starrte ihn an, ohne zu begreifen. »Gesunken?« Um sie drehte sich alles, und sie hielt sich an dem kleinen, einfachen Holztisch fest.
»Die ›Gustloff‹? Mein Gott …« Sie schlug die Hände vors Gesicht, doch ihre Augen hatten seltsamerweise keine Tränen. Dann sah sie auf, von einem Hoffnungsschimmer gepackt. »Es gibt Überlebende, sagen Sie? Vielleicht ist meine Schwester ja darunter!«
»Ick hab jehört, dat die Listen bei der Behörde liegen, neben dem Rathaus – det Jebäude, wat noch übrig is!«, riet ihr der Alte mitleidig. »Wart hier auf mich, Meechen, bin jleich wieder da.« Er ging hinaus, holte sein einziges Pferd aus dem Stall und spannte es vor einen Wagen. Vor der Stadt ließ er sie aussteigen. »Ick wünsch dir allet Jute – und wenn de mal nicht weiterweeßt, ick bin immer da!«
Da in Berlin die Straßenbahnen stillstanden, musste sie sich ihren Weg durch die ruinenhaften Straßenschluchten der von Schuttbergen verstopften Stadt zu Fuß bahnen. Sie stieg über im Weg liegende Steinhaufen, umging tiefe Gräben und musste manchmal anhalten, weil sie nicht wusste, wo sie sich überhaupt befand. Ein Mann, den sie nach dem Weg fragte, war so nett, sie auf seinem Motorrad ein Stück mitzunehmen.
Am Rathaus fragte sie nach den Listen der Überlebenden der
»Gustloff« und erfuhr, dass von den neuntausend Menschen, die sich auf dem Schiff befanden, nur ein Drittel gerettet werden konnte. Nirgendwo war in der Liste der Name Gertraud von Walden auszumachen – trotzdem verlor sie nicht die Hoffnung. Die Schwester war schließlich unter den letzten gewesen, die sich auf das Schiff gedrängt hatten, und diese hatte man im allgemeinen Chaos überhaupt nicht mehr registriert. Und fast war sie ja auch dabei gewesen. Wie bestialisch, ein Schiff voll harmloser Zivilisten, verzweifelter Flüchtlinge mit Kindern zu torpedieren und im eiskalten Meer bei Minusgraden von zwanzig Grad zu versenken! Wie
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