Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Justizminister recht gab und nach einer rigorosen Säuberung des deutschen Staates, vor allem von den Juden, verlangte.
»Ihre Kommilitonin Hanna Kreuzberger ist ein gutes Beispiel!«, wandte er sich plötzlich an Magdalena. »Nicht, dass ich persönlich etwas gegen sie hätte – aber sie ist eben jüdischer Abstammung und gehört nicht in unsere Mitte! Ihr Studienplatz könnte einem deutschen Mädel zur Verfügung stehen! Aber das wird sich ja bald ändern …«, er zögerte, konnte aber voller Wichtigkeit nicht an sich halten. »Ich sollte eigentlich nicht darüber sprechen – aber im Vertrauen gesagt: Ich hörte, dass eine Deportation Königsberger Juden ins nahe Ausland bevorsteht. Es soll eine Nacht- und Nebelaktion werden und ganz schnell über die Bühne gehen.«
Empört schluckte Magdalena die scharfe Entgegnung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Eine Deportation ins Ausland? Bei Nacht und Nebel? Wozu? Was bildete sich Gottfried eigentlich ein, der sich jetzt in einer Tirade gegen jüdische Mitbürger verlor, deren Schicksal er mit scheinheiligem Ernst bedauerte. Sie wagte nicht, ihm am Tisch offen zu widersprechen und war froh, als er endlich auf die Uhr sah und aufstand. Mit einem beklemmenden Gefühl dachte sie an Hanna Kreuzberger und den ernsten kleinen Jakob.
Nachdem Gottfried sich verabschiedet hatte, überlegte sie ernsthaft, ob sie mit Mama darüber sprechen sollte. Sie hatteHanna immer gern gemocht und ihre Beziehung mit Lutz nicht ungern gesehen. Sie ging auf ihre Mutter zu und umarmte sie. »Mama … ich muss dir etwas sagen … «, begann sie.
»Nicht jetzt, Kind!«, die Mutter erhob sich torkelnd, klammerte sich an den Tisch und sah mit glasigen Augen förmlich durch ihre Tochter hindurch. »Später …«
Nichts schien mehr durch den unsichtbaren Panzer der traurigen Abwesenheit zu dringen, der sie umgab, nichts sie zu interessieren. Magdalena hielt sich enttäuscht zurück. Es gab so viele Dinge, die sich verändert hatten. Schon lange nicht mehr hatte sich die Mutter wie früher nach den kleinen Sorgen der Tochter erkundigt – nach ihren Fortschritten in der Universität – oder auch nur gefragt, ob es ihr gefiel, dass dieser von Treskow immer erschien! Entgegen ihrer früheren Gewohnheit ging sie jetzt auch nach dem Abendessen sofort zu Bett. Magdalena hatte sich darüber gewundert – bis das Hausmädchen ihr eines Tages die Batterie Flaschen mit Hochprozentigem unter ihrem Bett zeigte. Das war schockierend, denn schließlich nahm die Mutter ja auch regelmäßig das Beruhigungsmittel, das ihr der Dr. Grabert, ihr Hausarzt nach Lutz Tod verschrieben hatte. Als sie mit Großmutter Louise darüber reden wollte, sah diese sie nur streng über ihre Brillengläser hinweg an. »Was redest du denn da für einen Unsinn, Kind!« Das war genau der preußisch strenge Tonfall, den sie immer anschlug, wenn sie keine Widerworte duldete. »So etwas kommt doch in unserer Familie nicht vor! Deine Mutter wird dieses Unglück überwinden! Als Lutz in den Krieg zog, musste man mit allem rechnen. Er hat sein Leben dem Vaterland geopfert. Wir stehen in Deutschland mit einem solchen Verlust schließlich nicht allein da. Die Zeit heilt alle Wunden!« Damit hatte sie wieder zu ihrem Buch, einer Ausgabe von Goethes Briefen an Frau von Stein, gegriffen und das Gespräch damit beendet.
Mutlos ging Magdalena in ihr Zimmer und setzte sich an den kleinen Schreibtisch, um einen neuen Brief an Paul zu beginnen. Doch ihre Hand gehorchte ihr nicht, ihr Kopf war leer, und sie war zu aufgewühlt. Immer wieder musste sie an Hanna denken und an Gottfried von Treskows Worte. Eine Nacht- und Nebelaktion? Was bedeutete das genau – und wann würde das sein? Sollte sie zu ihr gehen – sie noch einmal warnen? Aber das hatte sie ja bereits getan – Hanna vertraute ihrem Schicksal, war blind gewesen, gegen die Gefahr, die ihr drohte.
Sie legte sich zu Bett, ohne gleich einschlafen zu können. Ein unruhiges Gefühl hielt sie wach, und als sie weit nach Mitternacht gerade in einen leichten, oberflächlichen Schlummer gefallen war, wurde sie von Geräuschen draußen im Garten geweckt. Ihr war, als höre sie das unterdrückte Weinen eines Kindes. Und jetzt – ein Ton wie ein Kratzen an ihrem Fenster; nein, es waren kleine Steinchen, die mit einem leisen Klacken gegen die Scheibe fielen. Sie fuhr hoch, sprang mit einem Satz aus dem Bett und riss das Fenster auf. Unten stand Hanna, den Arm um Jakob geschlungen.
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