Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Ihr Gesicht war verzerrt, weiß vor Angst, und sie streckte flehend die Hand nach ihr aus.
Viele tausend Kilometer weit weg, kämpfte sich Paul mit seinem Motorrad über den mit zähem Lehmschlamm bedeckten Boden der weiten, russischen Felder. Der Himmel war grau, es regnete in Strömen und immer wieder blieb sein Krad in der aufgeweichten Erde stecken, und es kostete große Mühe, es herauszuziehen und wieder flott zu machen. Seine Hand, erst kurz verheilt, schmerzte höllisch unter dem Druck, die Maschine in gerader Stellung zu halten und nach einem Sturz wieder aufzurichten. Immer abends, wenn er todmüde auf sein Lager fiel und seine Hand massierte, schmerzten und plagten ihn die fehlenden Finger, als seien sie noch vorhanden. Das einzig Erfreuliche war, dass die deutsche Armee weiterhin erfolgreichvorrückte. Aber noch hatten sie die Halbinsel Kertsch nicht erobert.
Immer wieder knallte auch an diesem Tag mehrfach feindliches Geschützfeuer, und er musste sich jedes Mal der Länge nach in den matschigen Dreck schmeißen, der danach fest an seinen Kleidern haftete. Auch die Angst vor Heckenschützen war immer da, den unsichtbar hinter Büschen lauernden Partisanen, die schon viele Kameraden mit einem einzigen, gezielten Schuss hinterrücks von ihrem Motorrad geholt hatten. Mehr als einmal verfluchte er seine Unachtsamkeit, den Verlust des Ständers am Kommandeurwagen, der ihn in diese Lage gebracht hatte.
Endlich erreichte er nach einer anstrengenden und gefährlichen Rumpelfahrt durch die unebene Schlammwüste die von den Kameraden provisorisch errichtete, etwas erhöht liegende Rollbahn. Die Fahrt ging trotzdem nicht gerade leichter voran, denn er musste höllisch aufpassen, nicht auf den abschüssigen Rand zu gelangen. Der Regen fiel jetzt heftiger und verwandelte die Rollbahn von einer Minute auf die andere in eine scheußlich glitschige Fläche. Die Nässe, von Windböen getrieben, brannte in seinen Augen und nahm ihm die Sicht. Er schien wie durch eine Welt aus Watte und Feuchtigkeit zu fahren. Aus dem Nichts der wässrigen Nebelschwaden tauchte urplötzlich ein Laster auf, der in hohem Tempo auf ihn zukam. Der Fahrer, der ihn zu spät sah, versuchte noch auszuweichen, doch sein Anhänger schleuderte und fegte ihn mitsamt dem Krad seitlich von der Bahn. In hohem Bogen landete er in einem wassergefüllten Graben und spürte nur noch, wie das Hinterteil des Motorrads gegen seinen Kopf knallte. Dann verlor er das Bewusstsein.
Die fremde Stimme mit den gutturalen Tönen drang zwar schwach, aber eindringlich an sein Ohr. Er öffnete die Augen, ohne seinen ertaubten Körper zu spüren, mit dem er bis zum Hals im kalten Wasser des Grabens lag. Irgendjemand hatte dasMotorrad herausgezogen und packte ihn jetzt unter den Armen.
»Dawai, dawai«, befahl die Stimme erneut, und als er den Kopf hob, erkannte er im Nebel halben Bewusstseins die deutsche Uniform eines Kommandanten mit den dazugehörigen Abzeichen auf der Schulter, der Befehle an umstehende Soldaten erteilte, deren scharf geladene Gewehre merkwürdigerweise direkt auf ihn gerichtet waren. Er wollte etwas sagen, aber er schlotterte so an allen Gliedern, dass er nichts Verständliches herausbrachte. Man legte ihn auf eine Pritsche und verfrachtete ihn in einen Wagen. Dann spürte er, wie man versuchte, ihm etwas Heißes durch die Kehle zu flößen. Gott sei Dank, er war gerettet!
»Danke!«, stammelte er, »danke, Kameraden.« Prickelnd und brennend rann das Blut in seinen Körper zurück, und er sank erneut in Ohnmacht.
Jemand rüttelte ihn aus den Tiefen der Bewusstlosigkeit an der Schulter. »Aufwachen!« Vorsichtig versuchte er, sich aufzurichten. In seinem Kopf dröhnte es. »Wo bin ich?« Niemand antwortete, doch das leise Bullern des Ofens in der Ecke, in dem ein Feuer prasselte, hatte etwas Anheimelndes. Er befand sich in einem dunklen, bunkerähnlichen Raum.
»Du warst auf dem Weg zum Armeegefechtsstand, nicht wahr? Wir haben die Nachricht an deine Einheit gelesen, die du bei dir hattest«, sagte eine stark akzentuierte Stimme in korrektem Deutsch. Sie klang sehr hoch, wie die eines sehr jungen Mannes. »Aber das meiste darin war verschlüsselt. Darum ist es gut, dass du wieder aufgewacht bist!«
Paul kniff die Augen zusammen, um im Halbdunkel das Gesicht des Sprechenden zu erkennen, der in der Ecke stand.
»Du wirst uns jetzt Rede und Antwort stehen und alles sagen, was du weißt, vor allem, was in der chiffrierten Nachricht steht!«
Paul
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