Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
drangen so scharf und klar in seine Sinne, als hätte er nie zuvor etwas gesehen oder gehört. Der Ruf einer Elster ging ihm durch Mark und Bein, das Maunzen einer Katze ließ ihn zusammenzucken vor Schreck.
Was war das alles, wo um Himmels Willen befand er sich? Vor dem Haus traf er auf ein Kind, das fragte er nach Ort und Jahr, doch die Antwort drang nur langsam in seinen Verstand.
Es wollte ihm nicht gelingen, zu erwachen, denn was ihn umfangen hielt, war kein Traum, er war längst hellwach. Die Straßen, die er entlangging, die Plätze, an denen er vorbeikam, sie schienen ihm seltsam vertraut und waren es doch nicht.
Das Haus, das er nun betrat, war ihm allerdings sehr gut bekannt, wiewohl er den Grund für diese Bekanntheit im Moment nicht hätte angeben können. Er stieg die Treppen hinauf und fand die Tür verschlossen. Nachdem er geklopft und an der Glockenschnur gezogen hatte, erschien eine junge Dame. Das verwirrte ihn, doch er nannte den Namen eines Mannes, der ihm nicht aus dem Kopf wich: ›Von Falckenberg‹. Mit freundlichen Gesten wurde er daraufhin hereingebeten.
Marie war der festen Überzeugung, einen Bruder oder sonstigen leiblichen Anverwandten des früheren Mieters vor sich zu haben,dessen Name beim Vater und der Witwe Stolzenhagen mehrfach gefallen war. Da der Herr trotz seiner reichlich zerdrückten und beschmutzten Livree einen ehrlichen Eindruck machte und ganz danach aussah, als ob er eine Erfrischung vertragen könnte, nahm sie keinen Anstand an seinem Aufzug, und brachte es nicht übers Herz, ihn vor der Türe stehen zu lassen.
Ihre Furcht, der Besucher könnte es auf Falckenbergs Hinterlassenschaft an Möbeln abgesehen haben, zerstreute sich rasch, denn er blickte die neu verteilten Gegenstände nur verwundert an.
Der Hereingebetene fragte sie nach von Falckenberg. Marie schluckte, denn sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass der Mann gar so ahnungslos sein könnte. Wusste er nichts vom Unfall seines Anverwandten?
Sie erzählte, was ihr bekannt war. Ihr Gegenüber hörte sie schweigend an, während nur sein Kopf sich bisweilen zustimmend oder ablehnend bewegte.
Was er hörte, drang wie durch dicke Watte zu ihm durch. War es möglich, dass er all dies versäumt hatte, eingesponnen in einen langen und tiefen Schlaf? Die junge Dame erzählte es derart aufrichtig, dass er nicht anders konnte als ihr glauben.
Er aß vom gereichten Kuchen, trank den Kaffee mit heftiger Begierde, als könnte er ihm alle verlorenen Lebensgeister auf der Stelle zurückrufen. Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, stieg aus dem Kellergewölbe seiner Erinnerung ein vormaliges, wenig glänzendes Leben empor. Er schwankte, ob er dies zulassen oder die Würgengel der Vergangenheit wo möglich zurückdrängen sollte.
Schätzungsweise eine Stunde war vergangen, seit Andersohn das Creuzsche Haus verlassen und Creuz mit dem zu Hilfe gerufenen Adler die Verfolgung aufgenommen hatte.
Der Proband, so fürchtete Creuz, konnte bereits überall sein. Sollte das Elixier tatsächlich den Irrsinn von ihm genommen haben, so wäre es das größte Unglück, wenn ihm nun etwas geschähe, bevorer der Welt seinen Erfolg vorweisen könnte. Adler befürchtete aus anderen Gründen ein Gleiches.
Sie hatten alle Passanten, die ihnen an diesem Sonntagmorgen begegnet waren, nach dem Entlaufenen gefragt und waren bereits bis vor das Schloss gekommen. Den dort wartenden Mietkutschern war auch kein Mann aufgefallen, auf den die Beschreibung gepaßt hätte.
Creuz und Adler gingen wieder langsam zurück. Am Petriplatz begegnete ihnen ein Mann, der es offenbar sehr eilig hatte. Mit langen Schritten strebte er dem Stolzenhagenschen Hause in der Roßstrasse zu und ging, nachdem er sich kurz umgewendet hatte, hinein.
Beim Anblick des Eiligen stutzte Adler und verlangsamte seinen Schritt. Trotz des schwarzen Überwurfs hatte er den geschäftigen Sonntagsgänger erkannt und wusste mit einem Mal, dass noch nichts verloren, aber Eile und Unerschrockenheit geboten waren. Er griff nach der Pistole unter seinem Wams, stopfte sie vor den Augen des entsetzten Creuz in den Gürtel und machte Anstalten, ebenfalls im Eingang neben dem Delikatess-Comptor zu verschwinden.
»Bitte, bringt ihn mir nicht um!«, flehte Creuz, der glaubte, Adler wollte sich gegen den entlaufenen Verrückten wappnen.
»Wie die Situation es erfordert. Es geht um das Schicksal meines Landes.«
Adler lauschte den Schritten über sich. Der andere hatte bereits
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