Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
am Himmel zeigte. Trotz der späten Stunde waren unerhört viele Menschen unterwegs. Man sah die verschiedensten Uniformen und Trachten. Noch auf denVorplatz des Schlosses hatten sich kleine palavernde Grüppchen gelagert.
Langustier entschied, die Nacht über in einem Gasthof zu logieren, um seinem König am Morgen frisch restauriert zu begegnen. Der Kutscher lud im Gedränge die beiden Kofferkisten ab und empfing mit verstockter Dankbarkeit ein überaus fürstliches Salär. Knirschend vollführte die königliche Berline eine enge Kehrtwende und kam wieder in entgegengesetzte Fahrt. Ins Schlösschen Monbijou hatte es zunächst retour zu gehen, dann wieder hinaus bis Schönhausen an der Panke. Herzhaft knurrte der Wagenlenker zum Knallen der Peitsche. Die Damen winkten zum Abschied mit Tüchlein aus beiden Fenstern, wurden aber schnell von der wallenden Menge verschluckt. Die Zurückbleibenden nutzten die Dienste sich anbietender Träger, um auf Quartiersuche zu gehen.
III
Trotz des einfachen Strohlagers hatte Honoré Langustier wie ein Toter geschlafen und fühlte sich erholt, fast frisch. Vor dem Fensterloch des winzigen Verschlages hoch droben unterm Dachfirst des ›Blauen Bären‹ – den der verruchteste französische Wirt niemandem zum Logieren angeboten hätte – zeigte sich unerwartet eine herrliche Aussicht. Das Haus lag fast am südöstlichen Rand und bot einen schönen Überblick über die niedrigeren Häuser drumherum zu Schloss und Tiergarten hin. Langustier streckte den Kopf durch die Öffnung hinaus und hatte sogleich das helle Gemäuer des königlichen Schlosses mit der goldenen Fortuna auf der Turmkuppel im Blick. Die gegen Abend sich anschließende Orangerie war noch im Ansatz zu erahnen, doch Langustiers Rücken schmerzte zu sehr, weshalb er den Hals etwas einzog und sich lieber an dem sichtbaren Zipfel des barocken Lustgartens erquickte, den der berühmte Pariser Gärtner Goudeau nach Rissen des noch berühmteren le Nôtre angelegt hatte. Durch die Hecken schimmerte ein Teich mit etlichen lustig darauf schaukelnden Gondeln.
Entspannt ließ Langustier die Augen über den Spreebogen wandern und blickte schließlich geradeaus auf Wiesen, Felder und den Horizont bildenden Wald. Irgendwo dahinter lag das gestern eilig durchmessene Berlin verborgen.
Alle Charlottenburger Gasthöfe, sogar die Schenken, waren mit Fremden jeden Standes überfüllt, so dass Langustier nur mit dem pointiert eingesetzten Hinweis auf seine künftige Stellung bei Hofe dieses jämmerliche Nachtquartier hatte erkämpfen können. Das früher so verschlafene und neben Berlin unbedeutende Städtchenglich einem aus den Fugen geratenen Jahrmarkt voller durchziehender Kavaliere und Offiziere. Fahrende Gewerbetreibende, vor allem Hugenotten, ersetzten derweil mit gutem Gewinn das am Ort fehlende Handwerk.
Unaufhaltsam strömten und schwärmten die Menschen herbei. Ein Siebtel der Bevölkerung war im Sommer von den Pocken dahingerafft worden, doch in Charlottenburg hatte das keine spürbaren Folgen gezeitigt. Mittags über den Schlossplatz zu gehen, war unmöglich, ohne ernsthaft in Bedrängnis zu geraten. Zeigte sich dann und wann der König, nahmen Jubel und Vivatgeschrei kein Ende. Der Baron von Keyserling, königlicher Adjutant und Kabinettssekretär, tat nichts anderes, als Billette und Briefe in Empfang zu nehmen und zu beantworten, wozu ihm kaum fünfzig rastlose Schreibkräfte notdürftig genügten.
Friedrichs Regierungsantritt verhieß den unter seinem Vater drangsalierten und gebeutelten Menschen ein neues, goldenes Zeitalter. Daher wollten ihn alle sehen, alle ihm nahe sein in diesen ersten Monaten. Längere Zeit war er auf Fahrt gewesen, hatte Huldigungen über sich ergehen lassen und gar inkognito eine abenteuerliche Reise ins Elsass unternommen, von der man sich lachend als von einem tollen Streich erzählte. Am vergangenen Mittwoch, dem 28. September, hatte die Residenz ihn nun endlich wieder gesund zurück erhalten, und schon das allein galt es zu feiern. Die Worte, die er am Tage seiner Rückkunft zu den Offizieren der beiden neu eingerichteten Regimenter gesprochen hatte, machten verheißungsvoll die Runde unter den Edelleuten und fremden Soldaten, die in seine Dienste zu treten suchten:
»Messieurs, führen Sie sich rechtschaffen auf, ich werde für einen jeden sorgen.«
Der König hatte es dabei vehement abgelehnt, sich von seinen neuen Untergebenen nach alter Adelssitte den Rock küssen zu lassen.
Die
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