Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
zweite König Friedrich in Preußen hatte sich an diesem dritten Oktober 1740, einem Montag, wie gewöhnlich um 4 Uhr von seinem Kammerdiener Wilsnack reichlich unsanft wecken lassen. Dies geschah mit Hilfe eines nassen Taschentuches, das ihm der Serviteur aufs Gesicht legte, woraufhin der Monarch unter Ausstoßen eines gurgelnden Lautes in die raue Wirklichkeit des Schlosslebens zurückfand.
Die herbstliche Morgenkälte war in den riesigen Innenräumen kaum zu ertragen. Kammerlakaien hatten schon eine halbe Stunde zuvor auf Zehenspitzen und mit allerhöchster Behutsamkeit das Feuer im Kamin entzündet, aber die Wärme stieg sofort in unerreichbare Deckenhöhen auf. Auch war bei dieser Gelegenheit der Nachtstuhl geleert und für den Tag versteckt worden.
Hinter einem Wandschirm mit chinesisch bemaltem Tuch ruhte auf einem einfachen Feldbett mit dünner Matratze noch immer der König. Selbst seine Vorbilder, die Kaiser Marc Aurel und Julian hatten nicht stoischer genächtigt. Vom Knacken der Scheite angetrieben, setzte sich der König jetzt aufrecht, legte sich die schwarzen Samthosen und seine langen Stiefel an und benetzte sich aus einer dargereichten Wasserschüssel eilig das Gesicht. Einen Spülabort suchte man im Schloss vergeblich, denn es gab keine Wasserleitung.Aus diesem Grund entfiel ein Bad oder eine simple Waschung des ganzen Körpers.
Widerstrebend ließen sich Se. Königliche Majestät vom Kammerdiener rasieren, während ihm ein Lakai den Zopf flocht und ihn anschließend puderte. Ein kurzer Rock, hellblau mit Casaquin, wurde übergezogen. Der König entspannte sich und rief laut:
»Ici!«
Auf dieses Zeichen hin betrat ein weiterer Haiducke mit einer Papiermappe den Raum. Darin befanden sich, vom Generaladjutanten und Kabinettssekretär Baron von Keyserling eingesiegelt, die von Feldjägern nachts aus Berlin und Potsdam gebrachten Briefe adeliger Absender. Etwaige Schreiben von Personen niederen Standes waren in Regesten beigegeben. Normalerweise hätten Se. Königliche Majestät diese Briefe nun gelesen oder sich daraus vorlesen lassen und anschließend einige Leutnants, Kadetten, Pagen zum vertraulichen Kaffee gebeten. Einem unter ihnen hätte der König dann eventuell ein Spitzentüchlein zugeworfen, um ihm ein viertelstündiges privates Tête-à-tête zu gewähren. Doch er konnte sich an diesem Morgen weder auf die Lektüre konzentrieren noch war ihm nach Zerstreuung zumute.
Etwas Ungeheuerliches hatte sich am vergangenen Abend zugetragen und ihm weite Teile des nötigen Schlafes geraubt. Dass es gerade diesen jungen, forschen, ihm so angenehmen und wichtigen Falckenberg hatte ereilen müssen! Seine Planungen kamen durcheinander; mühsam Angesponnenes zerfaserte in Windeseile wieder, Hoffnungen schwankten, Aufgaben mussten neu verteilt werden.
Er bezwang sich, um keine Gefühlsregung zu zeigen. Seit seinem achtzehnten Jahr, als der Vater ihm den Freund genommen, war er an das eine Gefühl gewöhnt, das den Menschen kalt und kühn werden lässt: allein zu sein und vor einem Abgrund zu stehen.
Es war sein Schicksal, Freunde ebenso rasch zu gewinnen wie zu verlieren. An Falckenberg hatte es sich wieder einmal erfüllt. Inmancherlei Hinsicht war er sein Gegenstück gewesen – sicher ein Grund für die unbeschwerte Zuneigung, die beide für einander empfunden hatten. Falckenberg hatte weniger Erfahrung mit gelehrten Materien, dagegen mehr, was Pferde und Liebesdinge betraf. Und war doch bei aller Freizügigkeit ein Musterbeispiel an Loyalität und Verschwiegenheit. Trotz aller wohl dosierten Zügellosigkeit hatte er sich auf eine unnachahmliche Art im Zaum, wenn es darauf ankam, und er, Friedrich, der sich in eben dieser Haltung zu perfektionieren suchte, die zwar oft an papiernen Helden, aber selten an einem wirklichen Menschen zu finden war, hatte sich an ihm ein lebendes Beispiel zu nehmen versucht.
Einer Perfektionierung in Liebesangelegenheiten war der König indessen nicht länger bedürftig, seit er in kronprinzlicher Zeit die Kelche der libertinage bis auf den bitteren Grund geleert und ihm der feucht-schleimige Merkurius, das Quecksilber, den
mons veneris
seit seinem sechzehnten Jahr für alle Zeiten verschlossen hatte. Rasch war sein Verlangen versiegt und Freundschaft noch alles, was er zu geben vermochte. Da nun dies der Damenwelt selten genügte, sondern sie ennuyieren musste, hatte er alle Weiblichkeit tunlichst aus seinem näheren Umkreis verbannt.
Se. Königliche Majestät
Weitere Kostenlose Bücher