Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
wildem Wein und Efeu kaum noch zu erkennen war. Das Blätterdach über mir war so dicht, dass ich nicht erkennen konnte, in welcher Richtung das große Massiv über mir aufragte. Wäre ich mir nicht absolut sicher gewesen, dass die Mitte des Tages bevorstand, hätte ich beinahe geglaubt der Abend wäre schon hereingebrochen, so dunkel war es geworden. Der Trampelpfad wurde immer schmaler, bis er sich fast zwischen Farnen und Moosen verlor. Ich überlegte schon, umzukehren und den Weg zurückzulaufen, als ich hinter einem Gestrüpp aus Himbeerbüschen und Brombeerzweigen eine Mauer aufragen sah. Ich beschloss einen Blick über die Einfriedung zu riskieren, bevor ich entschied, in welche Richtung ich weiterlaufen sollte. Trotz des Schattens der großen Baumriesen spürte ich die Hitze des Tages immer stärker. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, um ordentlich gekleidet in der Schulaula zu erscheinen und mein Zeugnis entgegenzunehmen. Allerhöchste Zeit eine Entscheidung zu treffen. Ich visierte die Steinmauer eine Weile an und kletterte dann an einigen herausstehenden Steinen hinauf. Die Mauer war so breit, dass ich bis an den Rand der anderen Seite rutschen musste, um etwas sehen zu können.
Mir verschlug es den Atem. Vor mir öffnete sich ein weitläufiger Garten. Ein gepflegter Rasen erstreckte sich endlos unter den hohen Buchen und wurde immer wieder von bunten Blumeninseln und Ecken mit asiatischen Gräsern unterbrochen. Kleine Treppen führten in verschiedene Ebenen und unweit von mir hörte ich einen Springbrunnen plätschern. Ich war so vertieft in den Anblick dieses versteckten Paradieses, dass ich den Jungen, der auf einer Holzbank im Schatten einer von wildem Wein überwucherten Mauer saß, vollkommen übersehen hatte. Als ich im Augenwinkel sah, wie seine Hand nach einer Gitarre griff, war es schon zu spät. Bevor ich mich zurückziehen und von der Mauer absteigen konnte, klangen schon die ersten Akkorde eines melancholischen Stückes gefühlvoll durch die märchenhafte Landschaft. Vor meinem inneren Auge drängten sich die Bilder. Ich versuchte sie zu unterdrücken, aber sie waren zu schön. Ungebremst strömten Emotionen in mich. Ich sah ein Paar am Strand in der untergehenden Sonne Hand in Hand und dann kamen auch die Gefühle zu den Bildern hinzu, die in mich flossen wie in einen leeren Kelch, der nur darauf wartete, gefüllt zu werden. Ich spürte Liebe in mir, eine tiefe, allesumfassende Liebe. Ganz entfernt merkte ich, wie meine eigenen Glieder erschlafften und ich langsam von der Mauer rutschte. Wie ich auf dem Boden einschlug, nahm ich schon nicht mehr wahr. Ich sah nur noch wechselnde Bilder von lachenden Mädchen, die im Sommerwind über eine blühende Wiese liefen und spürte ihre unbändige Lebensfreude. Schmerz überkam mich, so unerträglich schön war dieses Gefühl jetzt. Feen umtanzten einen dunklen Mann von berauschender Schönheit. In seinen Armen hielt er eine Frau, deren offenes dunkles Haar voller Blüten war. Ich weinte vor Glück, so schön war das Gefühl, das beide verband.
Eine sanfte Stimme sprach meinen Namen. Sie schien aus meiner Vision zu stammen. Ich öffnete langsam meine Augen und schaute in das unglaublichste Blau, das ich je gesehen hatte. Es war, als ob ich in die tiefste Stelle des Ozeans schauen würde. Erst als die sanfte Stimme erneut meinen Namen sprach, kam ich wirklich zu mir. Mühsam begann mein Gehirn die Einzelteile um mich herum, wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Die Stimme gehörte zu den Augen dazu und nach einem kräftigen Blinzeln, sah ich das gesamte Gesicht. Der sonnengebräunte Teint erinnerte mich an die Gestalt, die ich eben gesehen hatte. Allerdings war das Gesicht vor mir keine perfekte Schönheit, sondern herb und markant. Der Ansatz eines Dreitage-Bartes bedeckte das kantige Kinn und einen Teil der Wangen. Trotzdem war dieses Gesicht so schön, dass ich den Jungen vor mir einfach nur anstarren konnte. Die schwarzen, leicht gewellten Haare fielen locker bis über die Ohren und kamen mir bekannt vor. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.
Es war Adam, der neben mir kniete und mich besorgt ansah. Ich schluckte nervös und überlegte fieberhaft. Wie sollte ich ihm erklären, warum ich gerade ohnmächtig in seinen Garten gestürzt war? So etwas Peinliches war mir seit meinem letzten Date mit Florian Sommer nicht mehr passiert. Da hatte ich es vor lauter Nervosität geschafft, nicht nur über meine eigenen Füße zu fallen, sondern auch
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