Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Licht, als ich am nächsten Morgen in meinem völlig zerwühlten Bett aufwachte. Ich setzte mich schlaftrunken auf. Dieser sorglose Sonnenschein verhöhnte die Ereignisse des vergangenen Tages. Der Himmel müsste schwarz verhangen sein und die Erde unter dem Donnern und Krachen von zornig zuckenden Blitzen erbeben. Doch nichts von dem geschah. Heute war ein ganz normaler Sommertag. Nachdenklich stand ich auf und ging ins Bad. Vielleicht hatte ich mir die Sache mit dem Vogel am nachtschwarzen Himmel nur eingebildet? Während mir das heiße Wasser über die Schultern lief, grübelte ich weiter. Was war wirklich gestern passiert und was hatte ich geträumt? Gab es tatsächlich Morlems, Senatoren, Blutlinien und Ausnahmegenehmigungen? Bei hellem Tageslicht betrachtet, klang das alles ziemlich abwegig. Ich trocknete mich ab, zog mich an und ging in die Küche. Auf dem Küchentisch lag eine Notiz meiner Großmutter:
„Liebe Selma,
Frau Gonden braucht wieder meine Hilfe.
Wir sehen uns heute Nachmittag zur Zeugnisausgabe.“
Aha, die nette alte Frau Gonden plagte wieder einmal die Verdauung und meine Großmutter sollte das Problem mit ihren Kräutermixturen beheben. Wahrscheinlich hatte sie mit ihren Freundinnen eine Kaffeerunde mit Buttercremetorte veranstaltet, obwohl sie genau wusste, dass sie das fettige Essen nicht vertrug. Ich schmunzelte und kochte mir einen Kaffee. Während die Maschine so wie jeden Morgen zischend und ratternd ihre Arbeit tat, streifte ich das Unbehagen, das mich seit dem Aufwachen begleitet hatte, immer weiter ab. Der geregelte Alltag meines sterbenslangweiligen Lebens beruhigte mich und als ich mich mit der dampfenden Tasse Kaffee in der Hand auf meinen Lieblingsstuhl sinken ließ, von dem aus man den besten Blick in den Garten hatte, war ich bereit zu akzeptieren, dass der gestrige Tag nur ein dunkler Traum gewesen war.
Weil meine Großmutter nicht da war, legte ich gemütlich die Füße auf den mir gegenüberstehenden Stuhl. Meine nackten Fersen spürten kein weiches Kissen, nein, da war Papier. Als ich nachsah, was auf dem Stuhl lag, fand ich den „Korona Chronicle“. Ich legte die Zeitung auf unseren großen Küchentisch und strich sie glatt. Ich las die Schlagzeile gleich mehrmals und begann, mich in den Artikel zu vertiefen:
Angriff auf Tennenbode
Am gestrigen Abend fand unweit der Universität Tennenbode ein von Augenzeugen bestätigter Angriff der Morlems statt. Nur durch das beherzte Eingreifen von drei Kämpfern der Schwarzen Garde konnte eine Entführung in letzter Minute verhindert werden. Der Angriff auf die Plebejerin war allerdings nur möglich, da von der Betreffenden die geltenden Sicherheitsvorschriften für Jugendliche weiblichen Geschlechts unter 18 Jahren nicht eingehalten wurden. Trotz des offensichtlichen Leichtsinns überrascht das Auftauchen der Morlems die Gemeinschaft, da in der direkten Nähe der optimal gesicherten Hauptstadt, bisher keine Angriffe stattgefunden haben. Es gilt nun für die Stadträte der Ortschaft und besonders für Gustav Johnson, den Senator für Kinder- und Jugendangelegenheiten, schnell ein neues Sicherheitskonzept vorzulegen. Vorerst wurde für alle weiblichen Jugendlichen, die den zeremoniellen Eid noch nicht geleistet haben, eine vorrübergehende Ausganssperre verhängt. Die Untersuchung des Falles dauert noch an. Die Schwarze Garde hat die Ermittlungen übernommen und dürfte bald erste Details präsentieren. Die Frage, wer hinter den Angriffen steckt, bleibt allerdings weiter ungelöst, da die Morlems erneut unerkannt flüchten konnten. Nach ersten Untersuchungen hinterließen sie keine Spuren. Eine Einschätzung zur aktuellen Lage gibt Helander Baltasar, Senator für Landessicherheit, auf Seite 5
Während ich die Zeilen überflog, überkam mich ein irres Zittern. Hier ging es um mich. Das war doch offensichtlich. Es war alles wahr gewesen. Die Ereignisse des letzten Tages waren kein böser Traum, sondern bitterernst. Ich war angegriffen worden wegen meines jugendlichen Leichtsinns. Was war hier nur los? Welche Fähigkeiten waren gemeint? Was war die Schwarze Garde? Seit wann war Schönefelde eine Hauptstadt und wie kam der Vorfall in diese merkwürdige Zeitung? Die Fragen hämmerten durch meinen Kopf und ich würde wieder keine Antwort bekommen, wieder einmal, wie schon so oft in den letzten Jahren.
Zorn loderte in mir auf wie eine Stichflamme. Sie verbrannte die Vernunft und ließ nur schwarze Wut zurück. Ich sprang auf und
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