Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Formen der Fassade. Die letzten Wochen bestand Tennenbode praktisch nur aus regenbogenfarben Quadraten.“
„Der Mann ist ein Genie, ein Gott, ein wahrer Künstler.“ Lorenz drehte sich um seine eigene Achse.
Mein Magen knurrte hörbar und Kunst hin oder her, es wurde Zeit fürs Frühstück. Wir folgten den anderen zum Hauptgebäude und traten durch das riesige steinerne Portal, das aus ineinander gewundenen Drachen bestand, in deren Mäulern eine Art Pinguin steckte, vermutlich Wingtäubel. In der imposanten Eingangshalle, die wir nun betraten und die die Maße einer Bahnhofshalle hatte, sah alles normal aus. Offensichtlich durfte Konstantin Kronworth nur die Außenfassade gestalten. Groß, hell und luftig wölbte sich der Raum nach oben. Das einzig seltsame war die schiere Unmenge an nummerierten Türen, die die Wände säumten. Ich fragte mich, wohin man mit ihnen reisen konnte, während ich meine Koffer neben den bunten Haufen Gepäck stellte. Der pinke Koffer, den ich für Shirley getragen hatte, hatte Blasen in meiner Hand hinterlassen.
„Hast du Ziegelsteine mitgebracht?“, fragte ich scherzhaft in Shirleys Richtung, während ich meine Hand ausschüttelte, um den Blutfluss wieder in Gang zu bringen. Als keine Antwort kam, wandte ich mich um und sah sie zusammengesunken auf ihrem Koffer sitzen. Ihr Gesicht hatte sie mit den Händen bedeckt.
„Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“, fragte Liana besorgt und hockte sich neben Shirley auf den steinernen Fußboden.
„Sie hat sich bestimmt überanstrengt bei der Schufterei. Das ist ja auch echt eine Zumutung bis hier hoch zu Fuß zu gehen. Warte mal, Schätzchen, ich hab eine Flasche Wasser dabei. Trink einen Schluck und dann geht’s dir Rucki Zucki wieder gut.“ Lorenz nahm aus seinem Rucksack eine Flasche und reichte sie Shirley. Doch sie reagierte nicht und als ich näher kam, sah ich Tränen zwischen ihren Fingern hervorquellen.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich. Shirley nahm langsam die Hände von ihrem Gesicht. Die Tränen hatten ihr Make-up aufgelöst, das sich nun in bunten Flecken über ihr Gesicht verteilte. Wut blitzte aus ihren schwarz umrandeten Augen.
„Ich muss doch nicht jedem mein Seelenleben vor die Füße kotzen, dafür bezahlen mir meine Eltern schließlich einen Therapeuten“, zischte sie.
„Hey, ich wollte dir nur helfen“, konterte ich. „Aber gut, wenn du keine Hilfe brauchst, gehe ich. Ein Dankeschön für die Schufterei wäre aber das Mindeste. Ohne uns würdest du immer noch da unten stehen.“
„Ja, stimmt“, schluchzte Shirley wütend. „Hier nimm! Willst du hundert Euro oder zweihundert?“ Unter einem weiteren Schluchzer schmiss sie mir ein paar Scheine vor die Füße.
„Ich glaube, du bist total durchgeknallt“, flüsterte ich entsetzt. „Sammle dein Geld wieder ein. Ich will es nicht.“ Ich drehte mich um und folgte Liana und Lorenz, die schon vorgegangen waren, bis mich wieder mein hinterlistiges Mitleid packte. Auch wenn Shirley total neben der Spur war, konnte ich sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Ich ging wieder zurück und sah sie streng an.
„Steh auf, wir haben noch dreieinhalb Minuten, um pünktlich zum Frühstück zu erscheinen und wegen dir habe ich keine Lust, mir schon am ersten Tag Ärger einzuhandeln. Also, heb jetzt deinen Designer-Arsch und komm mit!“, schrie ich sie entschlossen an und zog sie hoch. Zu meinem Erstaunen wehrte sie sich nicht, sondern folgte mir protestlos. An der Türschwelle der breiten Holztüren hielt ich inne und reichte Shirley ein Taschentuch.
„Wisch besser dein Gesicht ab, so kannst du nicht unter Leute gehen“, ordnete ich an. Shirley folgte widerspruchslos meinen Anweisungen und entfernte die gröbsten Spuren ihres verwischten Make-ups. Ich stieß die Tür auf und betrat den Ostsaal. Sofort spürte ich die neugierigen Blicke, die uns folgten, während ich mit Shirley im Schlepptau zu den nächstgelegenen freien Stühlen hastete, die an einem runden Tisch standen.
„Wunderbar!“, tönte Professor Espendorms Stimme durch den Raum. „Shirley Madden und Selma Caspari haben den Aufstieg auch endlich geschafft. Da wir jetzt endlich komplett sind, können wir beginnen.“
Super, ich hatte mir schon am ersten Tag den Ruf erworben, unpünktlich zu sein. Wenn mir jetzt noch einer „Rotfuchs“ nachrief, würde ich mich glatt wieder wie in der Schule fühlen.
„Die magische Ausbildung wird ihnen viel abverlangen. Pünktlichkeit,
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