Königsfreunde (German Edition)
er noch viel größer und unüberwindlich. Robin fragte sich, warum seine Eltern das Kamm-Tal nie erwähnt hatten. Ob es sie nicht interessiert hatte? Wussten sie nichts davon? Warum hatten sie sich nie gefragt, was sich hinter diesem Bergmassiv verbarg? Robin schlussfolgerte, dass Marquards Herkunft ebenfalls geheim gewesen war. Sonst hätten sie ihn wahrscheinlich gezwungen, ihnen den Eingang zu zeigen, um die Bevölkerung zu unterjochen. Robin wurde es mulmig bei dem Gedanken, dass diese Menschen hier zum großen Teil vor seinen eigenen Eltern geflohen waren. Ein paar davon vor seinem Großvater. Und nun befand er sich mitten unter ihnen.
Vertrauen gegen Vertrauen.
»Es geht los, Robin. Bleib direkt hinter mir«, sagte Bela. Der Reitertrupp bildete mit den Pferden eine lange Schlange, einer hinter dem anderen. Robin warf einen Blick über die Schulter und sah in Claras Augen, die ihm zuzwinkerten. Er lächelte zurück. Wenn er den unangenehmen Teil hinter sich gebracht hatte, würde er Clara seinen Besitz zeigen. Er hoffte, damit ordentlich Eindruck auf sie machen zu können. Endlich würde er ihr mal nicht unterlegen sein und sich auf sicherem Terrain bewegen. Robin spürte ein Ziehen in der Brust wenn er sie ansah. Auf keinen Fall durfte ihr etwas geschehen. Und Jakob und Nesa auch nicht. Sie ritten hinter Clara auf ihren Pferden und Robin nahm sich vor, die beiden ans Ende der Reiterschar zu schicken, bevor sie das Schloss erreichten, damit sie sicher waren. Aber jetzt mussten sie erst mal den Kamm passieren. Robin schaute nach vorn und sah etwas Unglaubliches. Einer der Reiter ritt auf die Felsen zu, die sich vor ihnen in Bruchstücken auftürmten und war auf einmal verschwunden, als ob der Fels ihn verschluckt hätte. Das nächste Pferd ging auf den Felsen zu und war fort.
»Wie ist das möglich?«, hauchte Robin. Bela drehte sich zu ihm um.
»Das wirst du gleich sehen. Die Felsen täuschen deine Augen«, sagte er. Die Schlange rückte näher, ein Pferd nach dem anderen verschwand zwischen den Steinen. Robin reckte den Hals, um etwas zu erkennen, aber er begriff es erst, als die Reihe an ihm war. Die Lücke zwischen den Felsen sah man nur, wenn man direkt davor stand. Erstaunt betrachtete er die künstlich aufgestellten einzelnen Felsblöcke, die wie ein Labyrinth angeordnet waren und für das Auge verwirrende Schatten warfen. Robin musste blinzeln und sich konzentrieren. Er folgte Belas Pferd, das sofort nach dem ersten Felsen scharf rechts abbog, und sich so den Blicken der Nachfolgenden entzog. Bela lenkte sein Ross sicher durch die unübersichtliche Landschaft aus meterhohem Gestein. Robin musste sich eingestehen, dass er hier nach wenigen Metern verloren gewesen wäre. Selbst das Pferd vor Bela war schon nicht mehr zu sehen, da sie alle zehn Schritte abbogen und die Richtung wechselten.
»Wie könnt ihr euch nur merken, wie man hier durchkommt?«, fragte Robin.
»Es gibt einen Wegweiser in Form einer Geschichte, die wir alle kennen. In dieser Geschichte zählen wir die Felsen, nach denen man abbiegen und die Richtung, in die man gehen muss. Also rechts oder links. Jeder von uns kann diesen Geschichtenwegweiser auswendig. Sonst kann man es nicht schaffen.« Bela bog scharf links ab und nach wenigen Metern leicht rechts. Ein Höhleneingang tat sich unmittelbar vor ihnen auf und Robin sah gerade noch den Schweif eines Pferdes in der Dunkelheit verschwinden.
»Aber dann kann ich gar nicht zu euch zurückkehren«, sagte Robin und folgte Bela in die Höhle. »Ich kenne die Geschichte ja nicht.«
»Clara wird sie dir beibringen. Auch Johann kann sie dir beibringen«, sagte Bela. Sie ritten über trockenes Gestein. Ein Pferd schnaubte in der Dunkelheit, und Robin sah, dass einige Reiter Laternen entzündet hatten, die ein schummriges Licht auf den Boden warfen.
»Ich will nie wieder mit Marquard reden«, sagte Robin. Bela antwortete nicht. Er schien eine eigene Meinung dazu zu haben. Robin folgte weiter der Reiterschar und ließ Hoheit langsam gehen, damit er nicht stolperte. Dabei kam das Bild in ihm hoch, wie Marquard ihn durch diesen Irrgarten geführt hatte. Er hatte nichts davon mitbekommen, war diesem Mann ausgeliefert gewesen. Robin fröstelte. Er hoffte, bald wieder das Tageslicht zu sehen. Jede Erinnerung an seine Entführung machte ihm zu schaffen. Weniger wegen der Tat selbst, sondern vielmehr ... ja, Marquards wegen. Robin stellte sich vor, dass ein Fremder ihn entführt hätte und
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