Königsjagd
dürfen.«
»Und was hast du gesagt?«
»Ja.«
»Bist du verrückt?«
»Nein. Ich bin neugierig, mehr nicht.«
Es klopfte an der Tür, und Connie schaute herein. »Es geht gleich wieder los.«
Sie küßte ihren Onkel auf die Wange. »Du machst dir zuviel Sorgen.«
Wahrend sie schon zur Tür ging, sagte er: »Übrigens, kann ich deinen Paß haben? Ich besorge dir morgen früh ein Ausreisevisum und Geld.«
»In der Frisie rkommode, obere Schublade«, antwortete sie und verließ
den Raum.
Für ihre zweite Show erhielt sie noch mehr Beifall als für die erste, und als letztes Lied sang sie, Schellenbergs Bitte erfüllend, einen faszinierenden »Moonlight on the Highway«.
Er erwartete sie vor dem Club neben dem Mercedes, der inzwischen zurückgekehrt war. Es war nach zwei Uhr, und die Straßen waren verlassen. Nur ein Sprengwagen fuhr vorbei.
Ehe sie das Lokal verließ, hatte sie sich umgezogen- Pullover, lange Hosen und Pelzmantel. Sie sagte: »Es ist nicht mal einen Kilometer weit. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir zu Fuß gingen? Ich kann dabei am besten entspannen.«
»Aber gern.«
Er nickte dem Fahrer zu, als sie losgingen, und der Mercedes rollte im Schneckentempo, direkt am Bordstein, hinter ihnen her. »New York, Chicago, Berlin«, sagte sie. »Am Tag sind sie alle verschieden, aber nachts ist überall der gleiche frische Geruch. Überall hängt der gleiche Regen in der Luft.«
»Und überall hat man das Gefühl, daß an der nächsten Ecke etwas Seltsames und Aufregendes auf einen wartet.«
»Genau«, sagte sie und hakte sich bei ihm ein.
»Zwanzig war ein herrliches Alter«, sagte er. »An gewissen Herbstabenden spürte man förmlich ein Prickeln in der Luft und glaubte wirklich, das Leben sei voller unbegrenzter Möglichkeiten.«
Sie gingen eine Weile schweigend weiter, und dann bemerkte sie plötzlich: »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, und Sie haben nicht geantwortet. Werden Sie mir jetzt antworten? Es ist aus einem bestimmten Grund wichtig.«
»Es ist ganz einfach«, sagte er.?›Zuerst studierte ich Medizin, dann Jura. Außerdem sprach ich mehrere Sprachen, und trotzdem gab es keine Arbeit, wußten Sie das? Keine Arbeit für Tausende von jungen Deutschen wie mich. Wenn ich hätte tun können, was ich wollte, wäre ich wohl zum Theater gegangen, weil ich den Verdacht habe, daß ich zu den Neurotikern gehöre, die zum Schauspielerberuf prädestiniert sind. Also ging ich zur Apotheose einer Schmierenbühne - zur SS.«
»Das reicht nicht.«
»Es war eine Arbeit, eine gutaussehende Uniform. Es war Respekt von Leuten, während man vorher ein Nichts gewesen war.«
»Weil Sie alte jüdische Frauen mißhandeln? Weil Sie Konzentrationslager bauen? Ich dachte, das sei die Hauptaufgabe Ihrer SS.« Sie hatten den Häuserblock erreicht, wo ihre Wohnung war. Er sagte: »Hanna, es ist so leicht, auf das Karussell zu steigen. Und so schwer, wieder abzuspringen, wenn es sich in Bewegung gesetzt hat. Ich fürchte, das gilt heute für die meisten Deutschen.«
»Dann tut es mir Leid um Sie.«
Sie wandte sich ab und lief die Stufen zum Hauseingang hinauf. Schellenberg blieb noch eine Weile stehen, schritt dann zum Mercedes und beugte sich zu dem Seitenfenster.
»Ihr könnt nach Haus fahren, Jungs. Ich gehe zu Fuß.« Es fing wieder an zu regnen, und er schlug den Kragen seines Ledermantels hoch, schob die Hände in die Taschen und schritt mit grimmigem Gesicht die Straße hinunter.
5
Am nächsten Morgen um zehn Uhr saß Heydrich an seinem Schreibtisch, sah die eingegangene Post durch und diktierte Frau Huber Antworten, als an der Tür geklopft wurde und Schellenberg mit einigen Akten in der Hand eintrat. Heydrich hatte dunkle Ränder unter den Augen, als hätte er nicht geschlafen, und die Blässe in seinem Gesicht wurde durch seine schwarze Uniform noch betont.
»Ich muß um elf zur wöchentlichen Führerkonferenz in die Reichskanzlei«, sagte Heydrich, »und ich habe noch all dies zu erledigen. Hat es Zeit?«
»Ich fürchte, nicht«, antwortete Schellenberg. »Sehr dringend, das heißt, eine Hausmitteilung ist schon unterwegs zum Reichsführer.« Heydrich runzelte die Stirn: »Nun?«
»Die Sache Winter. Wie Sie wissen, haben wir den Club eine Zeitlang überwachen und alle Gäste fotografieren lassen. Gestern abend hat einer unserer Männer ein neues Gesicht geknipst.«
Er legte eine Reihe von
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