Königsjagd
Schatten.
»Mr. Jackson?«
Jackson brauchte nicht zu fragen, mit wem er es zu tun hatte. Er sagte: »Walter Schellenberg, nehme ich an?«
»Stanley trifft Livingstone, oder anders herum«, sagte Schellenberg.
»Geht es ihr gut?«
»Ja, in Anbetracht der Umstände sogar ausgezeichnet.«
Schellenberg trat an das Geländer und starrte in den Nebel. »Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sagte, daß ich ihr nichts Böses wünsche, Mr. Jackson?«
»Und warum nicht?«
»Ich kann es nicht erklären, nicht einmal mir selbst. Der Impuls, ihr zu helfen, war einfach unüberwindlich, das ist alles, was ich weiß.« Er lachte trocken. »Sie kann mich noch Kopf und Kragen kosten.«
»Was wollen Sie also hier?«
»Sie kann hier nichts mehr ausrichten. Der britische Geheimdienst ist bereits aus einer anderen Quelle informiert worden, daß ich hier bin und welchen Auftrag ich habe. Sie soll sich jetzt um ihrer selbst willen aus der Sache heraushalten.«
»Und warum sollte sie Ihnen glauben?«
»Ja, warum?« Schellenberg zündete sich eine Zigarette an, und das Streichholz beleuchtete kurz sein Gesicht. »Manchmal fällt es mir selbst schwer, mir zu glauben. Gute Nacht, Mr. Jackson.«
Er ging fort, und als er bereits im Nebel verschwunden war, hallten seine Schritte noch dumpf auf dem Bürgersteig wider.
Fernandes da Cunha war klein und stämmig und hatte ein derbes Gesicht mit einem dicken schwarzen Schnurrbart. Sein Vater bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof bei Porto und war 83 Jahre alt. Er hatte sechs Kinder großgezogen - fünf Töchter und einen Sohn, Fernandes. Er hatte sich sehnlichst gewünscht, daß sein Sohn Priester würde. Fernandes hatte es versucht. Er hatte hart gearbeitet. Er hatte Englisch und Italienisch gelernt. Er hatte vier Jahre seines Lebens in einer Jesuitenschule bei Lissabon verbracht, bis er an einem kalten Morgen mit der Gewißheit erwachte, es gäbe keinen Gott.
So war er Polizist geworden und hatte es trotz - oder auch wegen - seiner jesuitischen Erziehung immer weiter gebracht, bis man ihm einen der wichtigsten Polizeiposten des Landes anvertraute.
Er war heute morgen wie gewohnt pünktlich um acht Uhr in seinem Büro. Um halb neun wurde er in den Präsidentenpalast bestellt, wo er jetzt auf eine Unterredung wartete.
Antonio Oliveira Salazar, Ministerpräsident Portugals, war 51 Jahre alt. Der ehemalige Professor der Volkswirtschaft von der Universität Coimbra regierte Portugal seit 1932 praktisch als Diktator, und seine größte Leistung hatte darin bestanden, sein Land aus dem spanischen Bürgerkrieg herauszuhalten.
Er empfing da Cunha allein, in einem kleinen, bescheiden möblierten Amtszimmer, denn er war ein Mann, der spartanisch einfach lebte. »Es ist nicht das erstemal, daß ich Sie hierher bitte, weil ich ein heikles Problem habe, Oberst«, sagte er.
»Zu Ihren Diensten, Herr Ministerpräsident. Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um den Herzog von Windsor. Eine delikate Sache. Sie haben vielleicht gehört, daß die Engländer ihn zum Gouverneur der Bahamas machen wollen. Den Deutschen wäre es aber lieber, wenn er in Europa bliebe. Wenn ihre Invasion Englands erfolgreich ist, haben sie vielleicht Verwendung für ihn...«
»Und das Problem?«
»Die Engländer sind offenbar der Ansicht, die Deutschen könnten versuchen, den Herzog vor seiner Abreise zu den Bahamas zu entführen. Der Leiter der deutschen Gegenspionage, Schellenberg, ist selbst nach Lissabon gekommen. Es ist alles sehr unangenehm.«
»In der Tat, Herr Präsident«.
»Besonders weil Churchill mir in einer persönlichen Botschaft mitgeteilt hat, er setze volles Vertrauen in unsere Fähigkeit, die Sicherheit des Herzogs zu gewährleisten. Andererseits übt Deutschland einen gewissen politischen Druck aus, und es sieht doch, offen gesagt, ganz so aus, als würde das Reich gewinnen.«
»Aber wenn der Herzog von unserem Staatsgebiet entführt werden sollte, wird die Reaktion Amerikas und anderer Länder kaum positiv für uns sein«, bemerkte da Cunha.
»Eben. Ich habe also folgenden Entschluß gefaßt. Falls der Herzog selbst beschließt, nach Spanien zu gehen, werden wir nichts dagegen unternehmen, aber wir werden auf keinen Fall zulassen, daß in der Sache Gewalt angewendet wird. Oberst da Cunha, ich mache Sie für seine Sicherheit verantwortlich. Sie werden sich bitte noch heute morgen mit dem britischen Botschafter in
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