Königsjagd
Erster Lord der Admiralität bezogen hatte. Die Besprechung mit den Stabschefs der drei Truppengattungen, die an jedem Abend stattfand, galt der drohenden Invasion durch die Deutschen und hatte bis nach Mitternacht gedauert. Churchill war anschließend gleich ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen, ein Talent, das er bei den vielen Feldzügen in jüngeren Jahren entwickelt hatte. Um drei Uhr morgens wurde er von Alexander Cadogan, Unterstaatssekretär des Foreign Office, aus dem Schlummer gerissen.
»Was gibt's?« fragte der Premierminister den späten Eindringling, um mit einem Anflug seines berühmten schwarzen Humors hinzuzufügen: »Sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten. Achttausend Fallschirmjäger der Siebten Luftlandedivision sind bei Hythe und Dymchurch gelandet und haben einen Brückenkopf errichtet. Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen, der Sie veranlaßt, mich um diese Zeit zu wecken.«
»Nein, Sir, aber unsere MI6-Station in der Stadt hat zwei Funksprüche aus Lissabon bekommen. Sie haben dort unten einen Doppelagenten, der auch für die Abwehr arbeitet. Der zweite Funkspruch scheint seine Geschichte zu bestätigen.«
Churchill rutschte hoch, lehnte sich an sein Kopfkissen, zündete eine Zigarre an und griff nach den Depeschen. Er las sie und blieb dann eine Zeitlang stumm.
»Premierminister?« sagte Cadogan endlich. »Was halten Sie davon?«
»Von der These, daß Seine Königliche Hoheit mit unseren Feinden kungeln könnte? Nichts. Ich habe ihn sein Leben lang gekannt, und wenn es einen Ehrenmann auf der Welt gibt, dann ihn.« Er hielt stirnrunzelnd inne. »In dieser Tatsache liegt übrigens die Ursache vieler der Schwierigkeiten, die er in der schlimmsten Zeit seines Lebens gehabt hat, wenn ich so sagen darf.«
»Aber der andere Aspekt, Sir? Die Möglichkeit, daß er entführt wird? Schellenbergs Anwesenheit in Lissabon bedeutet eine ernstzunehmende Gefahr, daran ist wohl nicht zu zweifeln.«
»Salazar mag die Nazis zwar lieber als uns, aber einen solchen Akt der Aggression kann er auf seinem Boden nicht zulassen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß er Diktator ist. Die internationalen Reaktionen würden ihm zu gefährlich werden.«
»Was machen wir also?«
»Unser Botschafter muß sofort auf höchster Regierungsebene in Lissabon vorstellig werden und unsere Besorgnis ausdrücken. Nicht offiziell, sondern inoffiziell. Ich glaube, wir sollten es im Moment auf diese Weise versuchen. Außerdem soll er den Herzog über die Lage unterrichten«. »Und dann?«
»Dann schicken wir Seine Königliche Hoheit so schnell wie möglich auf die Bahamas. Lassen Sie feststellen, wann das nächste geeignete Schiff geht, und holen Sie mir Walter Monckton.«
Walter Monckton kleidete sich hastig an, traf kurz nach vier Uhr morgens im Admirality House ein und wurde sofort zum Premierminister geführt. Walter Turner Monckton, mittelgroß, schütteres Haar und dicke Brillengläser, war ein hochbegabter Jurist und seit den gemeinsamen Tagen in Oxford ein guter Freund des Herzogs von Windsor. Er hatte ihn
während der Abdankungskrise beraten und war in den Jahren danach der Verbindungsmann zwischen der britischen Regierung und ihm geblieben. Im Augenblick war er Generaldirektor des Informationsministeriums.
»Walter«, sagte der Premierminister. »Ich möchte, daß Sie nach Lissabon fliegen, sobald wir eine Maschine für Sie aufgetrieben haben. Unseres Wissens geht am ersten August ein amerikanisches Schiff nach den Bermudas. Ich wünsche, daß Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um Seine Königliche Hoheit und die Herzogin zu bewegen, an Bord zu gehen.«
»Und wenn er nicht will, Sir?«
»Er muß, Walter. Lesen Sie diese Funksprüche, und urteilen Sie selbst.« Monckton las die Depeschen, ohne eine Miene zu verziehen. Dann reichte er sie zurück.
»Werden Sie das für mich tun, Walter?«
»Selbstverständ lich, Premierminister.« Monckton zögerte. »Ist Seine Majestät auf dem laufenden?«
»Noch nicht. Ich sehe aber auch keine Notwendigkeit, ihm schlaflose Nächte zu bereiten, wenn die ganze Sache schon Ende der Woche erledigt sein kann und der Herzog dann außer Gefahr ist.«
»Wie Sie meinen.«
»Gut. Dann kann ich Ihnen nur noch Hals- und Beinbruch wünschen, Walter. Cadogan wird das Nötige veranlassen.«
Churchill rutschte unter die Decke, schloß die Augen und schlief sofort wieder ein.
»Wunderbar,
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