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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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darüber
     auftauchte, dessen Modergeruch mir schwer entgegenschlug.
    »Was ist das hier?« fragte ich überrascht, weil der Raum so winzig war.
    »Wie Ihr seht, Herr Chevalier, ist dies eine Kapelle. Ein Vorgänger des Erzbischofs pflegte sich hierher zurückzuziehen, eben
     weil die Kapelle so klein und dunkel ist wie ein Grabgewölbe.«
    »War er ein so frommer Mann, daß er dadurch sein Fleisch abtöten wollte?«
    »Ich bin zu jung, um ihn gekannt zu haben, aber manche sagen, er sei sehr weltlich gewesen und habe seine Diözese nur selten
     besucht. Sie bezweifeln, daß er in dieser Kapelle jemals gebetet habe. Andere versichern hingegen, er beliebte hier über seinen
     Tod zu meditieren.«
    »Und wann ist er gestorben?«
    »Der Herr hat ihn in seinem dreiunddreißigsten Jahr abberufen, das war 1588 im Schloß zu Blois«, sagte der Geistliche, indem
     er schamvoll die Augen niederschlug.
    »Ah,« sagte ich, »dann ist es der berühmte Kardinal Guise! Der Onkel unseres Erzbischofs.«
    Hierauf antwortete der Geistliche nur mit einer neuen Verbeugung.
    |84| »Herr Chevalier, erlaubt, daß ich mich entferne. Ich werde Euch stehenden Fußes Monsieur de Bassompierre zuführen.«
    »Monsieur«, sagte ich, indem ich ihm einen Ecu reichte, »tausend Dank für Eure Verbindlichkeit, bitte, nehmt diese bescheidene
     Gabe und lest eine Messe für mich.«
    »Herr Chevalier«, sagte der Geistliche, indem er den Ecu mit wunderbarer Geschwindigkeit in einer Tasche seiner Soutane versenkte,
     »ich bin erst Hilfsdiakon und darf noch keine Messen lesen, aber ich werde für Euch beten.«
    Hierauf durchmaß er mit einem Riesenschritt das Kapellchen, schloß hinter sich die Pforte, und ich traute meinen Ohren nicht,
     als ich den Schlüssel zweimal im Schloß knirschen hörte.
    Dieses Übermaß an Vorsicht und Geheimniskrämerei dünkte mich ziemlich seltsam, denn Bassompierre und ich wollten ja keine
     Staatsgeheimnisse austauschen. Und anstatt dem einfältigen Hilfsdiakon zu trauen, dachte ich eher, daß er dem uns erwiesenen
     Dienst nur Wichtigkeit verleihen wollte. Ich setzte mich in den Lehnstuhl, neben dem Betpult das einzige Mobiliar in der Kapelle,
     und wartete, ohne daß ich, wie ich gestehen muß, das geringste Bedürfnis verspürte, dort zu beten oder über meinen Tod nachzusinnen,
     wie es vom Kardinal Guise behauptet wurde.
    Offen gestanden hielt ich diese Version schlicht für eine Erfindung der Liga, um aus dem Kardinal Guise einen Märtyrer zu
     machen. Denn nicht friedlich war er ›von Gott abberufen‹ worden, sondern der Kardinal wurde ermordet durch einen Spieß in
     der Brust, zwei Tage, nachdem sein Bruder, der Herzog von Guise, auf Befehl Heinrichs III. von den
Fünfundvierzig
1 zur Strecke gebracht worden war: ein Doppelmord, zu dem dieser menschliche, fromme und zur Vergebung geneigte König sich gezwungen sah, weil beide Brüder sich gegen seinen Thron
     und sein Leben verschworen hatten.
    Bekanntlich konnte sich Heinrich III. seines Sieges nicht lange freuen. Im Jahr darauf wurde er von der Liga ermordet. Obwohl
     ich damals noch nicht geboren war, hat mein Vater, ein Zeuge dieser Ereignisse, mir all das so eindringlich und auf meine
     Bitten hin so oft erzählt, als ich Kind war, daß ich fast glaubte, ich hätte es selbst miterlebt.
    |85| Diese Erinnerungen, wenn ich so sagen darf, waren nicht gerade erfreulich. Der Ort, an dem ich sie berief, vermehrte in mir
     das Grauen darüber. Und der Modergeruch, der durch das Halbdutzend Kerzen, die in dem engen Gewölbe brannten, nicht gemildert
     wurde, verstärkte in mir das Gefühl zu ersticken. So war ich unendlich erleichtert, als der Schlüssel aufs neue im Schloß
     knirschte und Bassompierre hereintrat.
    »Mein Freund«, sagte er in raschem Ton zu dem Geistlichen, indem er ihm eine Handvoll Ecus hinstreckte, »seid so gut, uns
     Euren Schlüssel zu überlassen. Ihr erhaltet ihn zurück, sowie dieses Gespräch beendet und die Pforte zuverlässig abgeschlossen
     ist. Auf Wiedersehen, mein Freund, und gedenkt meiner in Euren Gebeten.«
    »Ich werde es nicht versäumen, Herr Graf«, sagte der Geistliche, der vor Überraschung über die sehr reichliche Spende sogar
     einmal aufhörte, mit den Augen zu zwinkern.
    »Ich werde es nicht versäumen«, wiederholte er zur Bekräftigung. Und nachdem er sich vor Bassompierre bis zur Erde verneigt
     hatte, schwenkte er auf seinen großen Füßen herum, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und ich bezweifelte sehr,

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