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Königskinder (German Edition)

Königskinder (German Edition)

Titel: Königskinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Fischer
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Meinetwegen auch als Kerzelschlucker.»
    «Da seid ihr beiden doch gar nicht so weit auseinander», bemüht sich Gusti weiter um Harmonie.
    Wie Irka und Erich war Käthe in Wien in einer illegalen kommunistischen Zelle aktiv. Am zwölften Februar 1934, dem Tag, an dem sich die Wiener Arbeiter gegen die Faschisten erhoben und innerhalb kürzester Zeit vernichtend geschlagen wurden, bangten sie gemeinsam in Käthes Wohnung im Karl-Marx-Hof um ihre Männer, die irgendwo in der Stadt gestrandet waren und nicht zu ihnen durchkamen.
    Nun ist Käthes Lebensgefährte auf der Isle of Man interniert. Mit ihrem dichten Lockenkopf und den leicht schräg gestellten dunklen Augen ist sie die Schönste von ihnen, wobei sie selbst keinen Wert auf ihr Äußeres legt und stets Männerkleidung trägt. Doch wenn sie auf dem Sofa sitzt, ein Bein untergeschlagen, und im Eifer des Gesprächs mit ihren schmalen Händen wild gestikuliert, gibt sie ein Bild unnachahmlicher Eleganz ab. Irka beneidet sie um ihre Körpergröße, die es ihr erlaubt, stets bequeme flache Schuhe zu tragen. Seit sie fünfzehn ist, verlässt Irka nie ohne hohe Absätze das Haus. Das ist mühsam, aber sie hat sich daran gewöhnt. Als Jugendliche war es ihr Traum, wenigstens einen Meter sechzig zu werden. Doch vier Zentimeter darunter blieb sie stehen.
    Einig sind sich die Frauen in ihrer Ablehnung Dr. Pollaks. Sie nennen sie stets Dr. Pollak, obwohl nur ihr Mann ein Doktor ist, eine österreichische Angewohnheit. Auf diese Weise drücken sie aber auch ihre Distanz zu der dürren Frau aus, die sie zwar aufgenommen hat, ohne Miete zu verlangen, sie gleichzeitig aber nie vergessen lässt, wer im Haus das Sagen hat. Dr. Pollak hat eine tiefe Stimme, die keine Widerrede duldet. Alles, was sie sagt, klingt wie ein letztinstanzliches Urteil oder ein Befehl. Ihr leicht vorgebeugter Gang unterstreicht noch das Angriffslustige ihrer Persönlichkeit. In Wien verkehrten sie, die Tochter eines reichen Textilhändlers aus der Innenstadt, und der echte Dr. Pollak in sogenannten besseren Kreisen. Aufgrund der Geschäftsverbindungen ihres Vaters gelang es ihnen, einen Gutteil ihres Vermögens nach England hinüberzuretten, was den Zahnarzt trotzdem nicht vor der Internierung schützte. Dass er nun in Huyton unter Habenichtsen darben muss, empfindet Frau Dr. Pollak als persönliche Beleidigung.
    Irka ist es nicht gewohnt, mit anderen Leuten zusammenzuleben. Küche und Badezimmer teilen zu müssen geht ihr schon bald auf die Nerven, zumal die Frauen es nie schaffen, sich auf eine gemeinsame Mahlzeit zu einigen. Stets will eine kochen, wenn eine andere sich gerade in der Küche zu schaffen macht. Im Haus ist Irka selten allein, immer steht eine in der Tür und quatscht sie an. Und die Gespräche drehen sich im Kreis.
    Öfter als früher hat Irka das Bedürfnis, für sich zu sein, um ihren Erinnerungen nachzuhängen. Erich fehlt ihr, mehr, als sie es sich je hätte vorstellen können. Mit Wehmut denkt sie an ihre gemeinsame Zeit in Wiltshire. Gern würde sie wieder Silberbesteck putzen und Betten machen, sich sogar von ihrer Chefin anschnauzen lassen, wenn sie nur mit Erich zusammen sein könnte. Als sie mit falschen Hoffnungen auf eine ihrer Ausbildung gemäße Berufstätigkeit nach London ging, hielt er noch zwei Monate lang die Stellung im Herrschaftshaus – eine Trennung, die sie nun bitter bereut. Hätte sie gewusst, wie bald man sie wieder auseinanderreißen würde und wie sehr er ihr fehlen würde, sie hätte es nicht zugelassen.
    Zwei Wochen nach Erichs Einschiffung erhält Irka ein Telegramm vom Kommandanten von Huyton, das sie von Erichs Abreise am zehnten Juli unterrichtet. Da weiß sie es schon, denn inzwischen ist Erichs Abschiedsbrief eingetroffen. Ihr Paket, das sie ihm kurz vor seiner Abreise ins Lager schickte, hat ihn nicht mehr erreicht. Es enthielt Sachen, die er unterwegs gut hätte gebrauchen können. Tagelang hatte sie seine Kleider gesichtet und war durch London gelaufen, um Fehlendes anzuschaffen: Hemden, Hosen, Unterwäsche, Socken, Leintücher, Schuhpasta und -bürsten, Faden und Nähnadeln, Schere, Seife, Seifenflocken, Tinte, Käse, Marmelade, Konservenmilch, Sardinen. Alles hatte sie liebevoll eingepackt. Werden sie das Paket an sie retournieren oder an ihn weiterschicken?
    Irka ist froh, dass sie Erich im letzten Moment noch gedrängt hat, den Wintermantel mitzunehmen, den er zurücklassen wollte, weil doch jetzt Sommer ist. Manchmal fehlt es ihm an

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