Königskinder (German Edition)
Bord nicht als Gruppe aufzutreten, doch ihre identischen Hüte legen den Verdacht nahe, dass sie irgendwie zusammengehören. Abends kommt der Zahlmeister und verteilt Geld: zwei Pfund für jeden, der nichts hat, während die «Reichen» fünf Pfund von ihrem Konto abheben dürfen. Sie werden als freie Passagiere on parole reisen, sind für die Dauer der Schiffsreise also «auf Bewährung» freigelassen. Die Offiziere sprechen sie bereits mit «Gentlemen» an.
Am frühen Morgen des vierten Juni ist es so weit: Koffer packen, Decken aushändigen, Gepäck abgeben. Einige Stunden stehen sie noch herum und warten. Eine gewisse Nervosität ist den Männern anzumerken. Schließlich soll es zurück in den Krieg gehen, nur zu gut wissen sie, was unterwegs alles passieren kann. Und doch sind sie erleichtert, dass das endlose Warten, die lähmende Untätigkeit nun ein Ende haben.
Nach einer kurzen Eisenbahnfahrt steigen sie in einen Bus um, der sie zum Hafen bringt. Zwei Schiffe liegen dort vor Anker. Erichs Gruppe ist für das kleinere vorgesehen, die Largs Bay von der Schiffslinie Aberdeen & Commonwealth, ein mittelgroßer Passagierdampfer. An Bord werden ihnen Zweierkabinen zugewiesen, mit richtigen Betten und weißer Bettwäsche. Erich ist Passagier Nummer 368.
Kurz nach halb eins lichtet das Schiff die Anker. Erich und Otto stehen als vorübergehend freie Männer an der Reling und schauen und schauen. In die Vorfreude auf das Wiedersehen mit Irka mischt sich ein Gefühl von Wehmut. Erich wäre gern in Australien geblieben. Wird er diese Pracht jemals wiedersehen, je wieder die sengende Sonne auf der Haut spüren, die allabendlichen Sonnenuntergänge bestaunen? Was sich vor seinen Augen ausbreitet, muss er sich einprägen. Der Hafen von Sydney, der kühne Bogen der Harbour Bridge, die Wolkenkratzer der Inner City, der lebhafte Verkehr der kleinen Dampfboote, die von Palmen gesäumten Inseln und Buchten. Und im Hafen liegt das größte Schiff der Welt, die Queen Mary .
Engländer, Australier, Neuseeländer, Franzosen und die deutschen und österreichischen Rückkehrer, Soldaten und Zivilisten, alle stehen auf den höchsten Punkten des Schiffes, die Mannschaft auf Strickleitern und Masten, um das Schauspiel ein letztes Mal zu genießen. Die Matrosen der «Forces Navales Françaises Libres» singen das Lied der Résistance Sous les plus beaux drapeaux . In der Ferne die Rauchfahne der Themistokles , mit der die zweite Gruppe der Rückkehrer reist. Um die Maste kreisen Möwen.
«Leb wohl, Australien!», sagt Otto.
Beide sind gerührt. Das Elend der Gefangenschaft ist fast schon vergessen.
«Wieder beginne ich eine Reise über die Ozeane, ohne Irka rechtzeitig benachrichtigen zu können.»
«Und auf mich wartet überhaupt niemand. Ich hätte genauso gut bleiben können.»
Es wird eine Reise ohne Stacheldraht, ohne verbotene Decks, ohne bewaffnete Wachen, ohne Befehle, Schläge, Demütigungen. Erich weiß, dass sein künftiges Leben, wohin immer es ihn verschlagen mag, entbehrungsreich sein wird, und ist entschlossen, diesen Luxus in vollen Zügen zu genießen. Die Largs Bay hat nur eine Klasse, und den auf Bewährung freigelassenen Internierten stehen wie jedem anderen Passagier sämtliche Annehmlichkeiten des Schiffes zur Verfügung. Sie können die Gesellschaftsräume benutzen, in der Kantine einkaufen und essen im gemeinsamen Speisesaal. Neben den «freien Franzosen» ist auf dem Schiff eine Gruppe englischer Seeleute, die auf der Queen Mary , so wird gemunkelt, im Streit einen Mann über Bord geworfen haben, weshalb sie in England vor Gericht gestellt werden sollen. Die Privatreisenden sind überwiegend Engländer und Schotten, die sich gerade in Australien aufhielten, als der Krieg ausbrach, und nun zu ihren Familien in London, Manchester, Glasgow oder Birmingham heimfahren. Die Überfahrt kostet hundertfünfzig Pfund, eine Summe, für die ein englischer Arbeiter bis zu einem Dreivierteljahr arbeiten müsste.
In den folgenden zwei Monaten entwickelt Erich eine Routine, von der er nur im Fall einer Torpedierung abgewichen wäre. Morgens im Pool schwimmen, danach spazieren gehen, ein Frühstück vom Feinsten, eine Partie Decktennis, bis zum Mittagessen mit einem Buch im Liegestuhl ausruhen, bei großer Hitze mit Tropenhelm, bei Regenwetter im Salon, Mittagessen, Kaffee im Rauchsalon, eine Stunde Mittagsschlaf in der Kabine, abends nach Tisch eine Partie Schach, Konzert und Gesang in der Bar. In Häfen ohne
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