Königskinder (German Edition)
Verdunkelung wird auf dem Deck des Schiffes getanzt. Erich bleibt interessierter Beobachter, obwohl sich so manche Dame gern hätte auffordern lassen. Er kann nicht tanzen, zum Leidwesen von Irka, die in Warschau Turniertänzerin war.
In ihrer Reisegruppe befinden sich einige Musiker und Schauspieler, die im Pazifischen Ozean eine Nonstop-Variety-Show zum Besten geben – witzige Dialoge, Wiener Lieder, Hawaii-Melodien, Santa Lucia. Es wird ein rauschender Erfolg, und weitere Aufführungen zugunsten des Roten Kreuzes folgen unter dem Ehrenschutz des Kapitäns.
Am neunten Juni erreichen sie die Cookstraße und nähern sich, begleitet von einer Gruppe Delphinen, der neuseeländischen Küste. Über eine von Felsen und Klippen gesäumte Bucht segeln sie in den Hafen von Wellington. Dort trifft auch bald die Themistokles ein, und die Internierten drängen sich an die Relings, um einander zuzuwinken. Erich ist nur noch glücklich. Die Seeluft, das gleißende Wasser, das fürstliche Essen – was für ein Kontrast zur Reise mit der Dunera .
Nach dem Stück österreichischer Alpenlandschaft mit Nadelbäumen auf den Bergen und Palmen an der Küste passieren sie zwei Tage später in der endlosen Weite des Stillen Ozeans die internationale Datumslinie und wechseln den Kalender von Donnerstag auf Mittwoch. Der Antipodentag beschert ihnen zweimal den elften Juni.
Am zweiundzwanzigsten Juni hören sie in atemloser Spannung aus dem knackenden und brummenden Schiffsradio im Rauchsalon die Nachricht von Hitlers Überfall auf die Sowjetunion. Erich ahnt, dass dieses Datum von historischer Bedeutung sein wird, der Anfang vom Ende des Krieges, und notiert sich die Speisenabfolge des Abendessens: Consommé au Riz, Poached Kingfish mit Sauce hollandaise, Leeks au Gratin, Cumberland-Pudding mit Vanillesoße, danach Kaffee im Rauchsalon.
Von nun an steht man im Salon stets dicht gedrängt, wenn im Radio die Nachrichten gesendet werden, und die Kommunisten genießen plötzlich hohes Ansehen als Informationsquelle über «Russland» und die Frage, ob sich Hitler an der Roten Armee die Zähne ausbeißen wird. Viele Kommunisten halten den Krieg schon für gewonnen. Auch wenn die Wehrmacht auf dem Vormarsch ist, habe das nichts zu bedeuten, der Überfallene sei zu Beginn immer im Nachteil. Bis so ein Riesenreich wie die Sowjetunion in Bewegung komme, würde das eine Weile dauern. Dann aber würden sie zuschlagen.
Ungeachtet dieser düsteren Nachrichten finden an Bord Boxwettkämpfe und Konzerte mit Stücken von Beethoven, Schumann und Grieg statt.
Ein paar Tage später erreichen sie den Äquator, dann Balboa, das Eingangstor zum Panamakanal, der den Pazifischen mit dem Atlantischen Ozean verbindet. Zeitungen kommen an Bord. Sie melden die Einnahme von Minsk und Riga. Erich und Otto sind gemeinsam mit den Kommunisten deprimiert. «Wenn ich dran denke, dass die Faschisten alles niederwalzen, was sich die Menschen in der Sowjetunion mühselig aufgebaut haben, könnte ich vor Zorn wahnsinnig werden», sagt einer. Aber auch der bleibt zuversichtlich. Die Frage ist nur: Wie lang wird es dauern, bis Stalin in die Gänge kommt?
Die Fahrt durch den Panamakanal, einem System von Dämmen, künstlichen Seen und Treppenhäusern aus gigantischen Schleusen, nimmt einen vollen Tag in Anspruch. Sechs elektrische Zahnradlokomotiven ziehen das Schiff in die Schleusen, drei Schleusen heben es um hundertzwanzig Meter auf die Höhe des aufgestauten Gatúnsees in der Mitte des Kanals. Nicht nur die Technik, auch die Natur löst Begeisterung aus: dichter Dschungel mit wilden Bananen und exotischen Bäumen in voller Blüte, tropische Inseln, die man wegen ihrer Giftschlangen und Alligatoren besser nicht betritt, Hunderte von steilen, konisch geformten Hügeln. Schmetterlinge und Papageien fliegen aus dem Dschungel auf das Schiff. Ein Papagei wird eingefangen und nach Europa mitgenommen. Drei Schleusen bringen das Schiff auf den Meeresspiegel des Atlantiks. Allein die feuchte Hitze setzt den Passagieren zu.
«Zehntausende Menschenleben hat dieses Wunderwerk der Technik gekostet», sagt Erich.
«Ja, wie bei den Pyramiden. Früher mussten die Schiffe um ganz Südamerika herumfahren, was für ein Gewinn an Zeit und Geld! Der Weg des technischen Fortschritts ist mit Leichen gepflastert.»
Durch die Karibik geht es weiter nach Willemstad, einem holländischen Städtchen auf der Insel Curaçao, die die Largs Bay in der Nacht anläuft. Viele kennen diesen Namen nur
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