Königskinder (German Edition)
erst mal eine Runde, dann sehen wir weiter. Okay?»
«Okay», murmelt Irka und kuschelt sich an ihn. «Ob die Eisenbahn noch fährt? Wie komme ich nach St. Albans zurück? Ich muss ja morgen wieder arbeiten.»
«Auch darüber denken wir später nach.»
«Wie still es ist.»
«Ja. Jetzt zitiere ich Ihnen nur noch eine Zeile von Goethe, dann lasse ich Sie schlafen: ‹Zum Augenblicke dürft’ ich sagen: ‹Verweile doch, du bist so schön!› Hören Sie den Konjunktiv?»
«Sie haben meinen Ehering gesehen?»
«Ja.»
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27
Camp 8, Hut 18, 15. Mai 1941
Irka, meine Liebste, ich bin in großer Sorge, seit ich in der Zeitung über die schlimme Bombardierung Londons gelesen habe. Ich hoffe nur, dass Du nicht auf die Idee gekommen bist, ausgerechnet diesen Samstag in London zu verbringen. Werde ich es erst in drei Monaten erfahren? Ein unerträglicher Gedanke.
Der Besuch von Mr. Layton hat bewirkt, dass wir in ein anderes Lager verlegt werden, wo angeblich bessere Bedingungen herrschen. So stürmen alle unsere Kantine, und ich habe viel zu tun. Ich bin ein richtiger Einzelhandelskaufmann geworden – noch ein Job, der nicht viel einbringt –, ich kann alles verkaufen, was ein Provinzladen im Angebot hat, dazu noch ice cream , was man dort meistens nicht bekommt. Mein Herz, wir dürfen die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht aufgeben, eine schmale Aussicht auf Rückkehr hat sich eröffnet, jedenfalls stehe ich auf der Liste derer, die das wollen. Wenn Dir nur in London nichts zugestoßen ist.
Vielleicht ist es lächerlich, in solchen Zeiten daran zu denken, aber da ich fest davon überzeugt bin, dass eine bessere Zukunft vor uns liegt, in der Frieden die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bildet, wage ich einen kühnen Gedanken – ein Baby. Es wäre für mich das größte Glück auf Erden. Was meinst du?
Dein Eric
Fünf Tage später werden Erich und Otto zusammen mit den anderen in Hay verbliebenen Männern in das Camp Tatura in der Nähe von Melbourne verlegt. Zum Abschied erhält Hüttenvater Erich ein von Alfred Landauer angefertigtes Aquarellbild, auf der Rückseite unterzeichnet von den Bewohnern von Hütte 18. Abgebildet sind ein Papagei mit rosa Flügeln, ein Emu und zwei galoppierende Kängurus. Im Hintergrund ist mit ein paar Federstrichen das Camp angedeutet, wie eine sich rasch entfernende Fata Morgana.
Sealdwell verabschiedet sich mit Tränen in den Augen. In den Compounds 7 und 8 sollen nun italienische Kriegsgefangene untergebracht werden.
Hut 6, Internment Camp Victoria, 22. Mai 1941
Liebste Irene, Deine letzte Post ist mit dem 5. März datiert, eine süße Postkarte. Wie Du der Adresse entnehmen kannst, wurde ich in ein anderes Camp verlegt. Hier ist es außerhalb des Lagers viel grüner, und auch drinnen gibt es ein paar Bäume und Blumen. Aber es ist sehr kalt, und ich bin ein weiteres Mal froh über den warmen Überzieher, den Du mir aufgeschwatzt hast. Mir geht das Lagerleben gehörig auf die Nerven, aber gesundheitlich geht es mir gut, und ich halte mich fit für unsere gemeinsame Zukunft. Ach, wie sehr ich mich nach Dir und einem normalen Leben sehne!
Dein Eric
Auch von Tatura müssen Erich und Otto bald wieder Abschied nehmen. Sie bedauern, dass man sie nicht schon früher hergebracht hat. Bei dem weniger extremen Klima, das hier herrscht, hätte sich die Internierung leichter ertragen lassen. Aber das zählt jetzt alles nicht mehr, denn das Unglaubliche ist eingetreten: Ihre Rückreise nach Europa steht unmittelbar bevor. Viele ihrer Weggefährten wollen in Australien bleiben, besonders die Jüngeren. Für sie gibt es wenig Grund zur Rückkehr, und das Abenteuer lockt sie. Erich und Otto nehmen Abschied von Max. Er ist erwachsen geworden in den letzten Monaten, drahtig, braun gebrannt und selbstbewusst.
Acht Tage verbringen sie in einem verdreckten Durchgangslager in Liverpool nahe Sydney. Am zweiten Juni wird die vierzigköpfige Gruppe neu eingekleidet. Die Männer müssen die blauen Arbeitsanzüge und die Militärmäntel abgeben. Erich erhält ein neues Paar Schuhe, ein braunes Jackett und eine graue Hose.
«So siehst du ja recht manierlich aus», sagt Otto.
Erich kann sich ein Kichern nicht verkneifen. Keine Hose der Welt von der Stange ist lang genug für Otto. Wenn er den Mantel überzieht, den sie ihm geschenkt haben, sieht er noch komischer aus.
Tags darauf bekommen sie alle auch noch Filzhüte verpasst. Zwar hat Layton die Männer gebeten, an
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