Königskinder
konnte, der mich zu seinen Feiern einlud, mich seinen einflussreichen Freunden vorstellte – und seiner Tochter. Der süßen, zarten, warmherzigen und ein wenig schüchternen Sophie, die so gar keine Ähnlichkeit mit ihm hatte, auch wenn er das nicht wahrhaben wollte. Er glaubte zwar nicht, dass sie irgendwann sein Imperium übernehmen könnte – schließlich war sie ein weibliches Wesen und Geldgeschäfte waren ganz klar Männersache –, aber da Sophie seinem eigenen Gen-Pool entsprang, stand für Walter außer Frage, dass sie ebenfalls ein ganz besonders wertvoller Mensch war. Und, ja: Das war sie auch!
Wir verliebten uns sehr schnell ineinander, und alle freuten sich darüber. Sophie trat in mein Leben, als wäre sie immer schon dort gewesen. Sie wurde ein Teil meiner Familie. Oft saß sie allein am Bett meiner Mutter, während ich für meine Klausuren büffelte, und sprach mit ihr. Es zerriss mir das Herz vor Rührung, weil ich wusste, wie glücklich es meine Mutter machte – und gleichzeitig machte es mich so unsagbar traurig, dieses Glück nur noch für eine sehr begrenzte Zeit erleben zu dürfen.
Seit zweieinhalb Jahren waren Sophie und ich nun ein Paar. Während der Sarg meiner Mutter langsam in die Erde gesenkt wurde, hielt sie meine Hand. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter, als die Sonne genau in dem Moment durch die Wolken brach, als der Pfarrer seine Grabrede beendet hatte, und streichelte mir über die Haare, als ich am Abend leergeweint und kraftlos in ihren Armen lag.
Wir machten zusammen Urlaub, bauten einen kleinen gemeinsamen Freundeskreis auf, der außer Hassan eigentlich nur aus Bekannten von ihr bestand, und dachten bald schon darüber nach, gemeinsam eine Wohnung zu beziehen.
Wenn ich ehrlich bin: Sophie dachte . Ich zweifelte . Ein bisschen. Ich fand mich mit zwanzig Jahren eigentlich noch zu jung, um eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zu beginnen, doch Sophie meinte, manche Leute haben nun mal Glück und finden ihren Seelenverwandten schon ganz früh.
Das Wort Seelenverwandter machte mich nervös. Ich liebte Sophie, keine Frage, aber sollte ich tatsächlich einen Seelenverwandten besitzen – was ich stark bezweifle, weil das esoterisch-kitschiger Blödsinn ist –, dann müsste sich das doch sicher noch einmal ganz anders anfühlen. Überlebensgroß, irgendwie überwältigend. Und frei von auch nur dem kleinsten Zweifel. Wenn ich meine Seelenverwandte sehen würde, ihr auch nur für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen schauen sollte, würde alles klar sein, alles einen Sinn bekommen, sich zusammenfügen und richtig und wahrhaftig und perfekt sein. Ein Blick – und ich wüsste Bescheid! So war es bei Sophie, trotz meiner tiefen und ehrlichen Gefühle für sie, aber nicht. Weil es vermutlich bei niemandem so ist. Weil das romantische Hirngespinste sind.
Deshalb mochte ich es nicht, wenn Sophie Seelenverwandte sagte: Weil es mir ein schlechtes Gewissen machte, dass ich Sophie »bloß« liebte. Und weil ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob ich schon jetzt mit ihr in einer Wohnung leben wollte.
Andererseits gab es natürlich auch Gründe, eine gemeinsame Wohnung zu beziehen: Wir verbrachten sowieso einen Großteil unserer Freizeit beieinander; ihr Vater besaß so viele Wohnhäuser, dass wir uns einfach ein Domizil aussuchen konnten, von dem andere Menschen in unserem Alter noch nicht einmal träumen durften – »Ich kündige euch jeden raus, wen ihr wollt«, hatte Walter jovial angekündigt, »das ist Eigenbedarf. Kann keiner etwas gegen machen.« –; und natürlich würden wir in einer gemeinsamen, von Walter für uns freigeklagten Wohnung auch noch mietfrei unterkommen.
Ich fragte mich, was meine Mutter dazu sagen würde. Hätte sie sich gefreut, dass ich so glücklich war mit meiner Freundin? Schließlich mochte sie Sophie, liebte sie in ihren letzten Monaten wie eine Tochter. Oder hätte sie es zu früh gefunden, dass ich mich so verbindlich paarte? Hätte sie wieder zu mir gesagt: »Lebe doch erst einmal! Probiere dich aus! Sieh die Welt!«
Ich hatte das Gefühl, dass ich meiner Mutter etwas schuldete. Ich wusste nur nicht, was. Schuldete ich es ihr, mir glücklich ein Nest zu bauen? Oder schuldete ich es ihr, mir noch Optionen offenzuhalten und etwas zu wagen?
Ich hatte keine Ahnung.
Während ich mich fragte, an welchem Punkt meines Lebens ich mich gerade befand, fragte Sophie, ob wir eine Ledercouch kaufen sollten oder doch lieber eine mit
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