Königskinder
Junge.
»Ja.« Anfang der Neunziger hatte das World Wide Web zaghaft seinen Siegeszug begonnen. Ich war schon früh eingestiegen und hatte mich mit dem ersten deutschen Internet-Anbieter Compuserve in die Weiten der Netzwelt gewagt. Ich fand es spannend, mit der ganzen Welt verbunden zu sein.
»Ich glaube, dass die Menschen in spätestens zehn Jahren ihre Lebenspartner ausschließlich über das Internet finden werden. Es wird im Internet Kontakthöfe geben, wo Menschen sich treffen können, deren Parameter sich ideal ergänzen«, sagte der Junge, und seine Augen funkelten. »Die Menschen werden ihre äußerlichen Merkmale, ihre Interessen, ihre generellen Einstellungen zu verschiedenen Dingen in eine Programmmatrix eingeben und der Computer wird ihnen den perfekten Partner ausspucken. Tolle Vorstellung, oder? Eine hundertprozentig verlässlich steuerbare Kausalität statt blödes Posieren in Discos.«
»Ich finde es eher gruselig«, antwortete ich. »Wo bleibt denn da die Spannung? Und das Knistern. Und die Romantik? Und wer sagt denn, dass das, was am besten zusammenpasst, auch wirklich … zusammenpasst? Sagt man nicht, dass sich Gegensätze anziehen?«
»Den Gegensatz-Faktor muss man natürlich in die Matrix mit einbeziehen«, antwortete der Junge nachsichtig, als würde er einem verstockten Kind Nachhilfe geben.
»Ich weiß nicht«, blieb ich skeptisch.
»Ich werde solch ein Programm entwickeln!«, sagte er, ein bisschen zu selbstgefällig für meinen Geschmack. »Und es wird die Welt revolutionieren!«
»Viel Glück«, sagte ich mit unverhohlenem Spott.
Der Junge sah mich verächtlich an.
Nummer 2:
Als am 26. April 1994 Nelson Mandela zum Präsidenten Südafrikas gewählt wurde und die Apartheid endlich und unwiderruflich ihr Ende fand, war ich aufrichtig gerührt. Ich bin kein politischer Mensch. Nie gewesen, nie geworden. Aber wenn ich ein Happy End sehe, dann erkenne ich es.
Ein paar Tage nach diesem denkwürdigen Wendepunkt der Geschichte schlug Walter vor, dass wir nach Südafrika fliegen sollten. »Da wird’s jetzt bald einen Tourismus-Boom geben«, prophezeite er. »Da sollten wir mitmischen. Hotelanlagen und so was. Das kriegen die Eingeborenen da unten doch selbst nicht auf die Reihe.«
Ich sagte: »Ja, gute Idee.« Und dachte: Du Arschloch.
Nummer 3:
1995 saß ich abends in einer Gaststätte in einem kleinen schwäbischen Ort und versuchte herauszufinden, was an Spätzle so toll sein soll. Ich fand, es waren einfach nur mehlige Würmer. Dafür war das Schnitzel, das neben den obskuren Teigprodukten lag, erstklassig. Ich befand mich in Bietigheim-Bissingen, weil ich für eine dort ansässige Gabelstaplerfirma ein Nachbargrundstück für den Bau einer zusätzlichen Produktionshalle valuieren sollte. Den ganzen Tag hatte mich einer der Cheftechniker der Firma durch den Betrieb geführt. Er hieß Mobutu und stammte ursprünglich aus Zaire. Jetzt saßen wir hier nebeneinander und haderten mit der hiesigen Form der Nudelproduktion. Mobutu hatte mit einem entschuldigenden Lächeln den halben Pfefferstreuer über den Spätzle entleert. »So geht’s«, hatte er gesagt. »Meine Freundin macht die besser.«
Mobutu war einer der nettesten und herzlichsten Menschen, den ich je kennengelernt habe. Er war von einer überwältigenden Freundlichkeit und besaß einen köstlichen Sinn für Humor. Als er in schillernder Anekdoten-Form von seinen multikulturellen Zusammenstößen mit der schwäbischen Provinzbevölkerung erzählte, lachte ich herzhaft. Es war kein spektakulärer Abend, aber ein außergewöhnlich sympathischer. Als wir uns einige Stunden später verabschiedeten, fragte er: »Und, Mark, wie lange bleibst du noch in Bietigheim-Bissingen?«
»Noch zwei Tage. Ich muss die Bebauungspläne im Amt einsehen und mich mit einem Architekten treffen.«
Mobutu legte mir mit einem hocherfreuten Gesichtsausdruck seinen Arm auf die Schulter: »Dann musst du morgen auch kommen!«
»Wieso?«, fragte ich. »Was ist denn da?«
»Morgen heirate ich!«, strahlte Mobutu. »Wir feiern ein großes Fest!«
Ich fand es toll, dass er mich einlud. Die Einladung kam von Herzen, das spürte ich. Und ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken hinzugehen. Aber dann konnte ich mich doch nicht aufraffen. Ich wäre mir irgendwie fehl am Platze vorgekommen.
Kapitel 12
1996
D ie Lederschildkröten sind in Gefahr«, sagte Kirsten.
Wir saßen alle am Konferenztisch und für einen kurzen Moment fragte ich mich,
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