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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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Juristen Dr. Winter den Sachverhalt erklärte: »Costa Rica ist bekanntlich ein Marionettenstaat der USA. Die haben nicht einmal eine eigene Armee, weil die CIA und die US-Army mehr oder weniger allgegenwärtig sind und buchstäblich Gewehr bei Fuß stehen. Costa Rica ist sehr westlich orientiert, aber Gott sei Dank nicht zu sehr!« Er lachte, was nur eins bedeuten konnte: In Sachen Bestechlichkeit war Costa Rica dann doch eine klassische Bananenrepublik.
    Walter hatte mit meiner Hilfe verschiedene aneinandergrenzende Grundstücke am Strand von Gandoca gekauft, wobei wir jedes Grundstück mit Hilfe einer anderen Tochter-, Schein- oder Briefkastenfirma erworben hatten. Mitte der neunziger Jahre war Costa Rica eines der ersten Länder Zentral- und Südamerikas, das sich seiner ökologischen Verantwortung bewusst geworden war. Zumindest ein bisschen. Man hatte die Abholzung des Regenwaldes beendet und weitflächige Naturschutzgebiete eingerichtet. Nicht ganz uneigennützig natürlich: Costa Rica plante, zum Mekka des Öko-Tourismus zu werden. Zahlreiche US-Konzerne bereiteten sich darauf vor, Urlaubsparadiese zu erschaffen, die zumindest theoretisch und vordergründig im Einklang mit dem Umweltschutz standen. Man wollte aus Costa Rica die politisch korrekte Alternative zu vulgären Sauf-, Sex- und Billigurlaubsländern wie der Dominikanischen Republik machen.
    Walter gab natürlich einen Scheiß auf Umweltschutz. Er dachte nicht im Traum daran, auch nur den kleinsten ökologischen Gedanken bei der Planung zu berücksichtigen. Zumindest nicht, wenn dieser Gedanke Geld zu kosten drohte. Er hatte die einzelnen Grundstücke mit Hilfe von Bebauungsplänen erstehen können, die kaum einen Eingriff ins Ökosystem darzustellen drohten: Offiziell behauptete er, kleine Lodges aus Holz bauen zu wollen, ein ökologisch konzipiertes Minihotel und so weiter. Ich habe all diese Pläne mit Mühe entworfen. Doch nichts davon sollte je wirklich gebaut werden. Sowie die Grundstücke seinen Strohfirmen gehörten, verkaufte er sie sich selbst für symbolische Summen. So wurde aus fünf ursprünglich einzelnen Parzellen ein riesiges zusammenhängendes Gebiet, das nun komplett einem offiziellen Eigentümer gehörte. Und dann schlug Walter zu: Er reichte – wiederum mit meiner Hilfe und der zusätzlichen Unterstützung eines renommierten Architekturbüros, in dem ich auch gerne gearbeitet hätte – den Bebauungsplan für sein riesiges All-inclusive-Ferienparadies bei den costaricanischen Behörden ein. »Da muss jetzt natürlich ein bisschen Überzeugungsarbeit geleistet werden«, sagte er. Das bedeutete: Walter schmierte mit Hilfe lokaler Banker und Finanzparasiten dermaßen viele Beamte und Politiker, dass ein Antrag nach dem anderen genehmigt wurde. Es fehlten nur noch zwei Genehmigungen.
    Doch dann drohte Walters kapitalistische Seifenblase plötzlich zu platzen: Lokale Umweltschützer bekamen Wind von dem Projekt und machten darauf aufmerksam, dass Walters Ferienstadt das Ende der dortigen Lederschildkröten bedeuten würde.
    »Was sind das für Kröten?«, fluchte er.
    »Lederschildkröten«, erklärte ich, nachdem ich mich schlaugemacht hatte. »So wie es aussieht, gibt es dort am Strand die letzte Kolonie der Erde.«
    Walter ließ das natürlich kalt. »Die packen wir alle auf einen Laster und fahren sie woandershin«, schlug er vor. »Kann doch nicht so schwer sein.«
    Der Mann, der fast mein Schwiegervater geworden wäre, ließ sich partout nicht davon abbringen, dass das tatsächlich möglich wäre. Die Feinheiten der ökologischen Balance waren ihm so fremd, wie alle anderen Feinheiten, die sich ihm auch nie erschlossen.
    Nach einigen kleineren Protesten und vergeblichen Gerichtsklagen der costaricanischen Krötenfreunde wurde Greenpeace auf die Sache aufmerksam. Und die hatten nun eine Armada von Anwälten und Aktivisten losgeschickt, die selbst Walter nervös machte. Er beschloss deshalb, die letzten beiden Genehmigungen vor Ort mit Nachdruck durchzusetzen. Deshalb stiegen wir nach unserer Landung am Flughafen von Juan Santamaria in einen Hubschrauber und flogen direkt nach Gandoca.
    Während ich das jetzt alles aufschreibe, ekle ich mich ein wenig vor mir selbst. Ich versuche mich zu erinnern, wie groß meine Gewissensbisse damals waren. Oder ob ich überhaupt welche hatte. Ich half mit, eine komplette Gattung Tier von diesem Globus verschwinden zu lassen! Ich wollte unwiederbringlich eine Spezies auslöschen, die seit

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