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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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ob ich irgendein internes Memo übersehen hatte, in dem angekündigt wurde, dass Greenpeace demnächst kleine lederne Schildkröten in das Programm der Stofftiere und Öko-Accessoires aufnehmen würde, mit denen unsere Organisation beträchtliche Einnahmen machte. (»Mit dem Kauf jedes Robbenbaby-Schlüsselanhängers spenden Sie zwei Mark direkt für den Kampf gegen das Ozonloch!«) Und jetzt stellte sich heraus, dass es bei der Produktion dieser kleinen Gimmicks ein unerwartetes Problem gab? Doch dann fuhr Kirsten fort: »Der Hintergrund ist folgender: Am Strand von Gandoca soll eine riesige Hotelanlage entstehen. Haufenweise Bungalows, Restaurants und ein Apartmenthotel. Das würde das Ende der dortigen Lederschildkrötenkolonie bedeuten – der letzte größere Bestand dieser Art auf der ganzen Welt!«
    Am Konferenztisch herrschte allgemeine, verständliche Empörung: »Müssen diese All-inclusive-Parasiten sich denn überall breitmachen!«, schimpfte Udo.
    »Wo genau ist denn Gandoca«, wollte ich wissen.
    »Costa Rica«, antwortete Kirsten.
    »Sind unsere Juristen schon dran?«, fragte ich.
    »Die einstweiligen Verfügungen sind raus, die ersten Klagen angestrengt. Aber ihr wisst ja, wie das ist in diesen Bananenrepubliken: Da wird geschmiert wie verrückt. Und die Baulöwen kennen diesbezüglich keine Skrupel. Was wir brauchen, ist eine starke, öffentlichkeitswirksame Aktion vor Ort«, sagte Kirsten.
    »Ich bin dabei!«, rief ich. Es kam völlig spontan aus mir herausgeschossen und dementsprechend schauten mich alle überrascht an.
    »Simone?«, wunderte sich Udo. »Aber du …?«
    »Ja, ja. Ich weiß«, sagte ich. »Ich bin nur die Pressefrau, aber …«
    »Die Assistentin der Pressefrau«, korrigierte mich Paula, ihres Zeichens hauptverantwortliche Pressesprecherin von Greenpeace Deutschland.
    »Ja, klar. Tschuldige. Aber ich will das wirklich machen! Die Schildkröten liegen mir aus irgendeinem Grund besonders am Herzen!«
    Alle sahen mich an. Die meisten verblüfft, einige auch amüsiert. Sie ahnten, dass eine emotionale Bindung zur Familie der Amphibien (oder sind Schildkröten Reptilien?) nicht der wahre Grund für meinen Aktionismus war. Tatsächlich hatte ich das unbändige Bedürfnis, mal rauszukommen. Meine Mitbewohner-freie Wohnung wirkte auf mich zusehends wie ein riesiger Schlund, der mich jeden Abend erbarmungslos verschluckte und in einen Abgrund aus Langeweile, Routine und Einsamkeit fallen ließ, wo ich vom Leben langsam und qualvoll verdaut wurde.
    Leider konnte ich das so nicht sagen. Das wäre kein guter Grund gewesen, mich nach Costa Rica zu schicken. Jedenfalls nicht für Greenpeace.
    »Ich kann fließend Spanisch«, behauptete ich also. Noch so ein spontaner Einfall.
    »Oh«, staunte man nun.
    »Ja«, log ich weiter. »In meiner WG war eine Frau aus Peru. Die hat’s mir beigebracht. Am Ende haben wir nur noch spanisch miteinander geredet.«
    Wenn irgendjemand in der Runde mich nun aufgefordert hätte, etwas auf Spanisch zu sagen, wäre ich am Arsch gewesen. Außer Caramba, Paella und Real Madrid wäre mir nichts eingefallen. Doch: Corazon! Das heißt Herz. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund wird dieses Wort in jedem, wirklich jedem spanischsprachigen Lied mehrmals gesungen. Ich kannte also vier spanische Worte. Das machte mich nicht zu einer geeigneten Dolmetscherin. Doch wie das so ist mit Lügen: Je dreister und überdimensionaler, desto eher werden sie geschluckt. Alle glaubten mir.
    Ich brauchte trotzdem noch fast eine Woche, bis ich genug quengelige Überzeugungsarbeit geleistet hatte, um als eines von vier Team-Mitgliedern nach Costa Rica reisen zu dürfen. Ich war begeistert und freute mich riesig. Und ich büffelte jeden Abend mit einem dicken Wörterbuch und einer »Spanisch für Dummies«- CD, bis mir die Augen zufielen.

    Die Reise war mühsam und lang. Vom Flughafen Hamburg bis zum Strand von Gandoca brauchten wir neununddreißig Stunden! Drei Flüge hatten wir zu durchleiden, wobei ich beim längsten davon in der Economy-Class eingequetscht zwischen zwei exorbitant wuchtbrummigen Frauen saß und Angst um mein Leben bekam, als die eine davon einschlief, zu mir herüberkippte und mich unter ihren Fleischmassen zu ersticken drohte. Es war unmöglich, sie von mir wegzuschieben, fast so, als griffe man in einen Pudding. Ich bin selbst, wie man so schön sagt, fraulich gebaut. Doch während dieses Fluges kam ich mir trotzdem vor wie eine Salzstange zwischen zwei

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