Königsklingen (First Law - Band 3)
Absatz. Er runzelte die Stirn. Weder Poulders noch Kroys Name war darin zu entdecken. Er las die Zeilen noch einmal, sorgfältiger. Seine Knie fühlten sich plötzlich weich an.
»Wer wird ernannt?« Poulder kreischte die Worte beinahe. West öffnete den Mund, aber ihm fehlten die Worte. Stattdessen streckte er den Brief von sich, und Poulder riss ihm das Pergament aus der Hand, während Kroy sich erfolglos bemühte, seinem Widersacher über die Schulter zu blicken.
»Nein«, hauchte Poulder, der nun offenbar am Ende angelangt war.
Nun hatte Kroy das Schriftstück ergattert und überflog die Zeilen. »Das muss ein Irrtum sein!«
Aber der Heroldsritter war anderer Meinung. »Der Geschlossene Rat macht keine Fehler. Der Befehl des Königs liegt Ihnen vor!« Er wandte sich an West und verbeugte sich. »Herr Marschall, ich verabschiede mich.«
Die herausragenden und bestgekleideten Männer der Truppe starrten West mit offenen Mündern an. »Äh ... ja«, brachte der schließlich hervor. »Ja, natürlich.«
Eine Stunde später war das Zelt leer. West saß allein an Burrs Schreibtisch und schob nervös Feder, Tinte und Papier hin und her, vor allem aber den umfangreichen Brief, den er gerade mit einem Tropfen roten Wachses versiegelt hatte. Mit finsterem Gesicht sah er von dem Schreiben zu den Landkarten auf ihren Gestellen hinüber; dann kehrte sein Blick auf seine Hände zurück, die reglos auf dem vernarbten Leder lagen, und er versuchte zu verstehen, was verdammt noch mal passiert war.
Soweit er begriffen hatte, war er gerade auf einen der höchsten Posten in der Union befördert worden. Lord Marschall West. Vielleicht einmal abgesehen von Bethod war er jetzt der mächtigste Mann auf dieser Seite des Meeresrunds. Poulder und Kroy würden ihn fortan mit »Herr Marschall« anreden müssen. Er hatte einen Sitz im Geschlossenen Rat inne. Er! Collem West! Ein Bürgerlicher, der sein ganzes Leben lang verachtet, herumgeschubst und herablassend behandelt worden war. Wie hatte das geschehen können? Nicht aufgrund seiner Verdienste, das stand fest. Nicht durch irgendetwas, das er getan oder unterlassen hatte. Durch reines Glück. Durch die zufällige Freundschaft mit einem Mann, den er in vieler Hinsicht noch nicht einmal besonders mochte und von dem er nie erwartet hätte, dass er ihm je einen Gefallen tun würde. Ein Mann, der durch eine glückliche Fügung des Schicksals, die man eigentlich nur als Wunder bezeichnen konnte, auf den Thron der Union gelangt war.
Sein ungläubiges Lachen war nicht von langer Dauer. Stattdessen drängte sich ein höchst unangenehmes Bild in seinen Kopf. Prinz Ladisla, der irgendwo in der Wildnis lag, mit gespaltenem Schädel, halbnackt und unbegraben. West schluckte. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre Ladisla jetzt König, und er würde Latrinen schrubben, anstatt sich darauf vorzubereiten, den Befehl über die Truppen zu übernehmen. Sein Kopf begann zu schmerzen, und er massierte sich unbehaglich die Schläfen. Vielleicht hatte er bei seinem eigenen Vorwärtskommen doch eine entscheidende Rolle gespielt.
Die Zelttür raschelte, und Pike trat ein, das verbrannte, zerstörte Gesicht zu einem breiten Grinsen verzogen. »General Kroy ist da.«
»Lassen Sie ihn einen Augenblick schwitzen.« Allerdings war es West, der schwitzte. Er rieb die feuchten Handflächen aneinander und zupfte die Uniformjacke zurecht; das Oberstabzeichen war ganz frisch von den Schulterklappen entfernt worden. Er musste den Eindruck vermitteln, als habe er die Lage ebenso gründlich und mühelos im Griff, wie Marschall Burr es stets getan hatte. Oder Marschall Varuz, damals in den ausgedörrten Ödlanden von Gurkhul. Er musste Poulder und Kroy zerquetschen, solange es noch ging. Wenn er es jetzt nicht tat, würde er stets von ihnen abhängig sein. Ein Stück Fleisch, das zwei wilde Hunde zwischen sich zerrissen. Zögernd hob er den Brief auf und hielt ihn Pike hin.
»Können wir die beiden nicht einfach aufknüpfen, Herr Marschall?«, fragte der Sträfling, als er das Schreiben nahm.
»Wenn das doch nur ginge. Aber leider brauchen wir sie, und wenn sie auch noch so große Unruhestifter sind. Ein neuer König, ein neuer Lord Marschall, und beides Männer, von denen keiner je etwas gehört hat. Die Soldaten brauchen Anführer, die ihnen vertraut sind.« Er sog die Luft durch die Nase ein und streckte die Brust heraus. Jeder Mann muss seine Aufgabe erfüllen, das war alles. Zischend ließ er die Luft
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