Königsklingen (First Law - Band 3)
darunter eine milde Seele offenbarte. Aber wenigstens waren die Abgründe ihres Temperaments halbwegs berechenbar. Bayaz hingegen war als Gesellschaft wesentlich anstrengender: Auf der einen Seite gab er sich großväterlich und gemütlich, aber wer vermochte schon zu sagen, woraus seine andere Seite bestand? Sobald der alte Mann den Mund öffnete, zuckte Jezal bereits in der Erwartung einer unangenehmen Überraschung zusammen.
Im Augenblick war er es jedoch offenbar zufrieden, sich einfach nur mit ihm zu unterhalten. »Darf ich fragen, was nun Ihre Pläne sind, Hauptmann Luthar?«
»Nun ja, ich vermute, dass man mich nach Angland schicken wird, um gegen die Nordmänner zu kämpfen.«
»Das vermute ich auch. Obwohl wir ja nie wissen, wie sich unser Schicksal wenden mag.«
Diese Vorstellung gefiel Jezal gar nicht. »Und Sie? Gehen Sie wieder zurück nach ...« Ihm wurde bewusst, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, woher der Magus überhaupt jemals gekommen war.
»Noch nicht, nein. Ich werde ein wenig in Adua bleiben. Große Dinge werfen ihre Schatten voraus, mein Junge, große Dinge. Vielleicht bleibe ich noch und sehe mir an, was geschehen wird.«
»Beweg dich, du Schlampe!«, ertönte ein lauter Ruf vom Straßenrand.
Drei Mitglieder der Stadtwache umstanden eine junge Frau mit schmutzigem Gesicht und zerlumptem Kleid. Einer beugte sich über sie, einen Stock in der Faust, und brüllte sie an, während sie vor ihm zurückwich. Eine mürrische Menge hatte sich bereits versammelt und sah zu, hauptsächlich Arbeiter und Tagelöhner, die kaum sauberer waren als die Bettlerin selbst.
»Wieso lasst ihr sie nicht in Ruhe?«, knurrte ein Mann.
Einer der Wachmänner machte warnend einen Schritt auf die Leute zu und hob seinen Stock, während sein Kumpel die Bettlerin an der Schulter packte und dabei eine kleine Schale umstieß, so dass ihre wenigen Münzen in die Gosse rollten.
»Das ist doch wohl ein bisschen stark«, sagte Jezal unterdrückt.
»Nun.« Bayaz sah an seiner Nase herab. »So etwas passiert ständig. Wollen Sie mir sagen, Sie hätten nie zuvor erlebt, wie ein Bettler vertrieben wird?«
Natürlich hatte Jezal so etwas schon gesehen, oft sogar, und er hatte gewöhnlich nicht einmal die Augenbrauen gehoben, wenn das geschah. Schließlich konnte man nicht zulassen, dass Bettler die Straßen verstopften. Und dennoch vermittelte ihm diese Szene auf einmal ein sehr unbehagliches Gefühl. Das unglückliche Geschöpf trat um sich und schrie, während der Wachmann die Frau mit unnötiger Gewalt noch einen Schritt weiter zurückzerrte und dabei sichtlich seinen Spaß hatte. Es war nicht so sehr die Tat an sich, die Jezal gegen den Strich ging, sondern der Umstand, dass dies vor seinen Augen geschah, ohne dass man dabei auf seine Gefühle Rücksicht nahm. Das machte ihn gewissermaßen zum Komplizen.
»Das ist eine Schande«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne.
Bayaz zuckte die Achseln. »Wenn es Sie so sehr stört, wieso tun Sie dann nichts dagegen?«
Der Wächter beschloss ausgerechnet in diesem Augenblick, die junge Frau an ihrem struppigen Haar zu packen und ihr einen heftigen Schlag mit seinem Stock zu versetzen. Sie schrie auf und stürzte, die Arme schützend über den Kopf erhoben. Jezal fühlte, wie sich sein Gesicht verzerrte. Ruckzuck hatte er sich durch die Menge gedrängt und trat dem Kerl mit großer Wucht in den Hintern, so dass er mit einem Satz bäuchlings in der Gosse landete. Einer seiner Kameraden kam mit erhobenem Stock auf ihn zu, machte dann aber ein paar stolpernde Schritte zurück. Jezal merkte, dass er seine Eisen gezogen hatte; die polierten Klingen blinkten im Schatten der Häuser.
Die Umstehenden holten erschrocken Luft und drängten ebenfalls zurück. Jezal blinzelte. Er hatte nicht die Absicht gehabt, diese Sache derart weit zu treiben. Das lag alles an Bayaz und seinem blödsinnigen Rat. Aber nun hatte er keine andere Möglichkeit, als sie bis zum Ende durchzufechten. Er setzte sein furchtlosestes und überheblichstes Gesicht auf.
»Noch ein Schritt, und ich steche Sie ab wie das Schwein, das Sie sind.« Er sah von einem Wachmann zum anderen. »Nun? Möchte mich vielleicht einer von Ihnen auf die Probe stellen?« Er hoffte sehr, dass keiner es wagen würde, und seine Sorge erwies sich als grundlos. Im Angesicht des entschlossenen Widerstands waren die Wachmänner erwartungsgemäß feige und hielten sich vorsichtig außerhalb der Reichweite seiner
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