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Königsklingen (First Law - Band 3)

Königsklingen (First Law - Band 3)

Titel: Königsklingen (First Law - Band 3) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Korporal hörte ihm nicht länger zu. Seine Augen waren zum Himmel geglitten, und nun klappte ihm langsam die Kinnlade herunter. West wandte sich im Sattel um.
    Eine schwarze Säule erhob sich über dem Westen der Festung. Zuerst sah es aus, als bestünde sie aus aufsteigendem Rauch, aber nachdem West sich über den Maßstab klar geworden war, erkannte er, dass es sich um herumwirbelnde Gegenstände handelte. Um Massen, um zahllose Tonnen von Gegenständen. Seine Augen folgten der Säule weiter empor, höher und höher. Selbst die Wolken waren in Bewegung geraten, drehten sich um die Spirale in ihrer Mitte und zogen in langsamem Kreis über ihnen dahin. Die Kämpfe kamen zum Erliegen, als Unionisten und Gurkhisen gleichermaßen auf den gewundenen Pfeiler starrten, der über dem Agriont stand, während sich der Kettenturm wie ein schwarzer Finger vor ihm abhob und das Haus des Schöpfers wie eine winzige Stecknadel dahinter aufragte.
    Nun begannen Dinge vom Himmel zu fallen. Erst kleine – Splitter, Staub, Blätter, Papierfetzen. Dann schoss ein Holzstück von der Größe eines Stuhlbeins herab und schlug mehrfach auf dem Pflaster auf. Ein Soldat kreischte, als ein faustgroßer Stein ihm die Schulter zerschmetterte. Jene, die nicht kämpften, wichen zurück, duckten sich, hielten sich die Schilde über den Kopf. Der Wind wurde noch wilder, riss an der Kleidung, und die Männer mussten sich dagegenstemmen, die Zähne gebleckt und die Augen zu Schlitzen verengt. Die kreisende Säule wurde breiter, dunkler, schneller, höher, bis sie den Himmel berührte. West sah kleine Tupfen an ihren Rändern, die vor den weißen Wolken spielten wie ein Mückenschwarm an einem Sommertag.
    Nur handelte es sich dabei um herumwirbelnde Steinbrocken, Holzstücke, Erde, Metall, die eine verrückte Laune der Natur in den Himmel geschleudert hatte und nun durch die Gegend fliegen ließ. Er wusste nicht, was hier geschah, oder wieso. Er konnte nur in die Luft starren.
    »Herr Marschall!«, brüllte ihm Pike ins Ohr. »Herr Marschall, wir müssen von hier verschwinden!« Er griff nach Wests Zügeln. Ein großes Stück Mauerwerk krachte nicht weit von ihnen aufs Pflaster. Wests Pferd bäumte sich auf und wieherte panisch. Die Welt machte einen Satz, drehte sich, wurde schwarz. Er wusste nicht, für wie lange.
    Er lag auf dem Bauch, den Mund voller Staub. Vorsichtig hob er den Kopf, kam wie betrunken auf alle viere, während der Wind wild in seinen Ohren brüllte und ihm kleine, stechende Steinchen ins Gesicht schleuderte. Es war so dunkel, als ob es bereits dämmerte. Die Luft war erfüllt von fliegenden Trümmern. Der Wind zerrte am Boden, an den Häusern, an den Männern, die sich nun wie Schafe zusammengedrängt hatten und keinen Gedanken mehr ans Kämpfen verschwendeten. Die Lebenden lagen hingestreckt auf dem Bauch, Seite an Seite mit den Toten. Schutt scheuerte am Kettenturm, dessen Schindeln vom Dach flogen, bis der Sturm auch den Dachstuhl davonriss. Ein riesiger Balken schoss in die Tiefe und krachte auf das Kopfsteinpflaster, überschlug sich mehrmals der Länge nach und schob Leichen aus seinem Weg, bevor er in die Wand eines Hauses brach, dessen Dach sofort einstürzte.
    West zitterte, Tränen wurden von seinen brennenden Augen gerissen, und er fühlte sich völlig hilflos. Kam so tatsächlich das Ende? Nicht blutverschmiert und ruhmumkränzt bei einem närrischen Ausfall wie für General Poulder. Nicht im Schlaf in der Nacht, wie für Marschall Burr. Nicht einmal unter einer Kapuze auf dem Schafott, zum Tode verurteilt wegen des Mordes an Kronprinz Ladisla.
    Sondern ganz zufällig von einem riesigen Trümmerstück erschlagen, das vom Himmel fiel.
    »Vergib mir«, flüsterte er dem wilden Sturm entgegen.
    Dann sah er, wie sich der schwarze Umriss des Kettenturms verschob. Er beugte sich nach vorn. Steinbrocken fielen herab und klatschten in den aufgewühlten Burggraben. Das ganze riesige Gebäude sackte zu einer Seite, beulte sich aus und stürzte mit geradezu alberner Langsamkeit nach außen, durch den tobenden Sturm und in die Stadt.
    Bei seinem Sturz zerbarst der Turm. Mauerstücke krachten auf die Häuser, zerschmetterten geduckte Männer wie Ameisen und flogen als tödliche Geschosse in alle Richtungen.
    Und das war alles.
     
    Es gab jetzt keine Häuser mehr an diesem Ort, der einst der Marschallsplatz gewesen war. Keine sprudelnden Springbrunnen, keine stattlichen Statuen auf dem Weg der Könige, keine Paläste voller

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