Königsklingen (First Law - Band 3)
darin lauerte und an den Toren kratzte. Und kratzte und kratzte bis in alle Ewigkeit. Sie hatte ihre Gelegenheit, Rache zu üben, ungenutzt verstreichen lassen.
Ferro würde das nicht passieren.
Sie glitt die Wehrmauer entlang und umging den Wächter, der sich, als sie an ihm vorüberkam, den Mantel fester um die Schultern zog. Dann hinauf zu den Zinnen, und von dort sprang sie; der Wind strich über ihre Haut. Sie flog über den Burggraben, und knisterndes Eis breitete sich unter ihr auf dem Wasser aus. Der gepflasterte Boden kam näher. Hart prallten ihre Füße auf, und sie überschlug sich ein paar Mal, dann rollte sie sich zu den Häusern hinüber. Ihre Kleidung war durch den Sturz zerrissen, aber auf ihrer Haut waren keine Spuren zu sehen. Nicht einmal ein einziges kleines Blutströpfchen.
»Nein, Ferro.«
»Zurück, such den Samen!«
»Er ist in seiner Nähe.«
»Bayaz hat ihn.«
Bayaz. Vielleicht würde sie zurückkehren, wenn sie im Süden fertig war. Wenn sie den großen Uthman-ul-Dosht in den Ruinen seines eigenen Palasts begraben hatte. Wenn sie Khalul und seine Verzehrer und seine Priester zur Hölle geschickt hatte. Vielleicht würde sie dann wiederkommen und dem Ersten der Magi die Lektion erteilen, die er verdiente. Die Lektion, die Tolomei ihm eigentlich hatte beibringen wollen. Aber er mochte ein Lügner sein oder auch nicht – er hatte ihr gegenüber sein Wort gehalten. Er hatte ihr die Mittel gegeben, um Rache zu üben.
Jetzt würde sie es auch tun.
Ferro schlich sich durch die stillen Ruinen der Stadt, ruhig und geschmeidig wie eine kühle Brise in der Nacht. Nach Süden, zum Hafen. Sie würde schon einen Weg finden. Süden, übers Meer nach Gurkhul, und dann ...
Die Stimmen flüsterten weiter in ihre Ohren. Tausende Stimmen. Sie sprachen von den Toren, die Euz schloss, und von den Siegeln, die Euz wie Riegel vorschob. Sie bettelten, sie solle sie öffnen. Sie sagten ihr, sie könne sie brechen. Sie sagten ihr auch, wie, und sie befahlen ihr, es zu tun.
Aber Ferro lächelte nur. Sollten sie doch reden. Sie gehorchte niemandem.
TEE UND DROHUNGEN
Logen runzelte die Stirn. Grimmig betrachtete er den großen Saal, die schimmernden Spiegel, die vielen mächtigen Leute darin.
Er sah die großen Edelleute der Union ihm gegenüber finster an. Zweihundert oder mehr mochten es sein, die murmelnd auf der anderen Seite des Saales saßen. Ihre falschen Reden, ihr falsches Lächeln, ihre falschen Gesichter widerten ihn an wie eine Überdosis Honig. Aber er hatte keine bessere Meinung von den Leuten auf seiner Seite, die mit ihm und dem großen König Jezal ihre Plätze auf dem hohen Podest eingenommen hatten.
Da war zum einen der verächtlich dreinschauende Krüppel, der damals an dem Tag im Turm die ganzen Fragen gestellt hatte und der jetzt von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet war. Dann ein dicker Kerl, dessen Gesicht voller geplatzter Äderchen war und der aussah, als ob er jeden Tag mit einem Schluck begann. Dann ein groß gewachsener, hagerer Kerl mit schwarzem und aufwändig vergoldetem Brustpanzer, mit sanftem Lächeln und harten Augen. Eine so windige Gruppe Lügner, wie Logen sie noch nie gesehen hatte, aber einer war schlimmer als der ganze Rest.
Bayaz saß mit einem lockeren Grinsen im Gesicht da, als sei alles so gekommen, wie er es sich gedacht hatte.
War es ja vielleicht auch. Verdammter Zauberer. Logen hätte von Anfang an schlauer sein sollen, als einem Mann ohne Haare zu vertrauen. Die Geister hatten ihn gewarnt und gesagt, dass die Magi ihre eigenen Ziele verfolgten, aber er hatte nicht darauf gehört, war blindlings losgerannt und hatte aufs Beste gehofft, so wie immer. Wenn man eins über Logen Neunfinger sagen konnte, dann das – er hört nicht zu. Einer seiner vielen Fehler.
Seine Augen glitten zur anderen Seite, zu Jezal hinüber. Er sah so aus, als ob er sich in seinen königlichen Roben ganz wohl fühlte, mit der schimmernden goldenen Krone auf dem Kopf und einem goldenen Stuhl, der noch größer war als jener, den Logen bekommen hatte. Seine Frau saß neben ihm. Sie verströmte frostigen Stolz, das mochte sein, aber das tat ihr keinen Abbruch. Sie war so schön wie ein Wintermorgen. Und sie hatte diesen Gesichtsausdruck, wenn sie Jezal ansah. Einen wilden Blick, als ob sie sich kaum davor zurückhalten konnte, ihre Zähne in ihn zu schlagen. Der verdammte Glückspilz schien es immer bestens getroffen zu haben. Sie hätte gern auch ein bisschen an Logen knabbern
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