Königsklingen (First Law - Band 3)
oder Silber als Oberhaupt seiner Familie auswies. Jezal verstand von Politik wohl nur wenig mehr als ein Kohlkopf, aber selbst ihn berührte die Bedeutung dieses großen Ereignisses: die Ernennung eines neuen Hochkönigs der Union durch offene Wahl. Bei dem Gedanken spürte er ein aufgeregtes Kribbeln in seiner Kehle. Eine größere, wichtigere Entscheidung als diese konnte man sich kaum vorstellen.
Die Menschen in Adua waren sich dessen bewusst, das stand fest. Jenseits der Mauern, auf den Straßen und Plätzen der Stadt, wartete man gespannt auf Neuigkeiten bezüglich der Entscheidung des Offenen Rates. Darauf, dem neuen Herrscher zuzujubeln, oder ihn vielleicht auch mit Buhrufen zu begrüßen, je nachdem, auf wen die Wahl fiele. Jenseits der hohen Türen des Fürstenrunds wartete eine riesige, wogende Menge auf dem Marschallsplatz, Männer und Frauen des Agrionts, die danach gierten, den Ausgang der Wahl als Erste zu erfahren. Die Zukunft vieler Menschen hing davon ab, große Schulden würden beglichen werden, riesige Summen waren auf die Wahl gesetzt worden und würden entsprechend gewonnen oder verloren sein. Nur wenige Glückliche hatte man auf der Besuchergalerie zugelassen, aber es waren doch immer noch so viele, dass sie sich dicht bis an das Geländer drängten und dabei Gefahr liefen, hinübergeschoben zu werden und auf den Fliesenboden der Halle zu stürzen.
Die intarsiengeschmückten Tore am anderen Ende des Saales öffneten sich mit einem lauten Krachen, das von der hohen Decke widerhallte und durch den großen Raum dröhnte. Allgemeines Rascheln war zu hören, als sich alle Ratsmitglieder auf den Sitzen umdrehten, um zum Eingang zu sehen. Dann ertönten Schritte, und der Geschlossene Rat kam gemessen den Gang zwischen den Bänken entlang. Ein Grüppchen Sekretäre, Schreiber und Wichtigtuer eilte hinter ihnen her, Papiere und Folianten in den nervösen Händen. Lord Schatzmeister Hoff ging voran, das Gesicht in grimmige Falten gelegt. Ihm folgten Sult, ganz in Weiß, und Marovia, ganz in Schwarz, beide gleichermaßen feierlich dreinblickend. Dann kamen Varuz und Halleck, und ... Jezals Miene verdüsterte sich. Niemand anders als der Erste der Magi, der wieder einmal in seinen albernen Zauberermantel gekleidet war, mit dem missmutig wirkenden Lehrling im Schlepptau. Bayaz grinste, als ob er weiter nichts als einen unterhaltsamen Theaterbesuch vor sich hätte. Ihre Blicke trafen sich, und der Magus besaß die Dreistigkeit, ihm zuzuwinken. Jezal war überhaupt nicht amüsiert.
Während um sie herum das Murmeln immer lauter wurde, nahmen die alten Männer auf den hohen Stühlen hinter einem langen, leicht gebogenen Tisch Platz, so dass sie den Edelleuten auf den Bänken entgegenblickten. Die Schreiber setzten sich auf kleinere Stühle und legten sich ihre Papiere zurecht, öffneten ihre Bücher und flüsterten mit gedämpfter Stimme mit ihren Herren. Die Spannung im Saal stieg noch einmal an und näherte sich gefährlich der Hysterie.
Jezal fühlte, wie ihm ein kalter Schauer über den verschwitzten Rücken lief. Glokta war dort, neben dem Erzlektor, und dieses wohlbekannte Gesicht war alles andere als beruhigend. Jezal war am Morgen noch in Ardees Haus gewesen, wo er zudem die ganze Nacht zugebracht hatte. Wie zu erwarten gewesen war, hatte er sich weder von ihr losgesagt noch ihr die Ehe versprochen. In seinem Kopf drehte es sich, weil er ständig über diese Sache nachdachte. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto unmöglicher schien es ihm, sich zu entscheiden.
Gloktas fiebrige Augen glitten zu den seinen, hielten seinen Blick, huschten dann wieder davon. Jezal schluckte krampfhaft. Er hatte sich da in eine ganz schön üble Lage hineinmanövriert. Was, zur Hölle, sollte er nur tun?
Glokta warf Luthar einen kurzen, brennenden Blick zu.
Nur, um ihn daran zu erinnern, wie die Sache steht.
Dann drehte er sich auf seinem Stuhl wieder um, streckte mit schmerzvollem Gesicht das pochende Bein aus und drückte die Zunge hart gegen das leere Zahnfleisch, als er das Knacken im Knie fühlte.
Wir haben Wichtigeres zu besprechen als Jezal dan Luthar. Weitaus Wichtigeres.
Für diesen einen Tag liegt die Macht beim Offenen Rat, nicht beim Geschlossenen. Bei den Edelleuten, nicht bei den Bürokraten. Bei den Zahlreichen, nicht den Wenigen.
Glokta sah an seinem Tisch herunter und betrachtete die Gesichter der großen Männer, die das Geschick der Union die letzten zehn oder mehr Jahre gelenkt hatten:
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